Egon Schieies Zeichnungen
EGON
SCHIELE t
ZEICHNUNG
»SITZENDE«
lösung. Von der Wollust des Endes wissen die
glasig aufgerissenen Augen, und der Krampf
der zackig gespreizten Finger ist die Agonie
derletztenLeidenschaft. Makabre Erotik: nichts
kann sich der unheimlichen Begierde entziehen.
Kein Körperliches, das nicht gedeutet wäre als
Objekt sinnlicher Phantasie. An den eckigen
Geberden Halbwüchsiger entzündet sie sich
wie an der Hingabe reifer Frauen. Proleta-
rische Dürftigkeit und extremer Luxus sind
nur Stufen. Weitab jeder moralischen Wer-
tung entfaltet sich das Phänomen einer scho-
nungslosen Konfession, die jenseits alles Inhalt-
lichen unschätzbar wird durch die Logik und
Überzeugungskraft ihrer künstlerischen Form. —
Egon Schieies Sprache ist die Zeichnung. So
sehr es ihn zur Farbe trieb, so hinreißend auch
die koloristische Instrumentierung ist, die er
seinen Visionen auf der Leinwand mitgab, seine
Malereien bleiben Glasfenster. Hier trennt sich
sein Weg von dem Oskar Kokoschkas, mit dem
er den Ausgangspunkt, Gustav Klimts magische
Dekoration, gemeinsam hatte. Während Ko-
koschka die raumbildende Funktion der Farbe
verfolgte, verbiß sich Schiele in das Studium
der Kontur. Dies war ihm gemäß: atemlos
hinzuschreiben, was er erlebte. Optische und
erotische Sensationen liefen für ihn ineinander.
116
EGON
SCHIELE t
ZEICHNUNG
»SITZENDE«
lösung. Von der Wollust des Endes wissen die
glasig aufgerissenen Augen, und der Krampf
der zackig gespreizten Finger ist die Agonie
derletztenLeidenschaft. Makabre Erotik: nichts
kann sich der unheimlichen Begierde entziehen.
Kein Körperliches, das nicht gedeutet wäre als
Objekt sinnlicher Phantasie. An den eckigen
Geberden Halbwüchsiger entzündet sie sich
wie an der Hingabe reifer Frauen. Proleta-
rische Dürftigkeit und extremer Luxus sind
nur Stufen. Weitab jeder moralischen Wer-
tung entfaltet sich das Phänomen einer scho-
nungslosen Konfession, die jenseits alles Inhalt-
lichen unschätzbar wird durch die Logik und
Überzeugungskraft ihrer künstlerischen Form. —
Egon Schieies Sprache ist die Zeichnung. So
sehr es ihn zur Farbe trieb, so hinreißend auch
die koloristische Instrumentierung ist, die er
seinen Visionen auf der Leinwand mitgab, seine
Malereien bleiben Glasfenster. Hier trennt sich
sein Weg von dem Oskar Kokoschkas, mit dem
er den Ausgangspunkt, Gustav Klimts magische
Dekoration, gemeinsam hatte. Während Ko-
koschka die raumbildende Funktion der Farbe
verfolgte, verbiß sich Schiele in das Studium
der Kontur. Dies war ihm gemäß: atemlos
hinzuschreiben, was er erlebte. Optische und
erotische Sensationen liefen für ihn ineinander.
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