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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 63.1928-1929

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Born, Wolfgang: Egon Schiele Zeichnungen: zur zehnten Wiederkehr seines Todestages
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https://doi.org/10.11588/diglit.9253#0127

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Egon Schleies Zeichnungen

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Die Sicht von oben, deren perspektivische
Reize zu dem gemeinsamen Kunstgut der nach-
impressionistischen Periode gehören, wirkt sich
beim Akt in überraschenden Überschneidungen
aus. Bewußt unterdrückt der Künstler Licht
und Schatten zugunsten reiner Linearität.
Aber das so gewonnene Gefüge von Strichen
hat durchaus nicht den ornamentalen Sinn wie
bei Klimt. Im Gegenteil: es zuckt von inneren
Spannungen, jagt hin- und rückgeworfen zwi-
schen den Rändern des Blattes, ist, mit einem
Worte, dynamisch. Hier liegt der wesent-
liche Unterschied zwischen Schiele und seinem
durchaus kunstgewerblich eingestellten, engli-

schen Gegenspieler Beardsley, eine Eigenschaft,
die ihn der Sphäre Van Goghs und Hodlers
nähert. Der Geist der Gotik, jahrhundertelang
verschüttet, kommt zu neuer Herrschaft. Das
zwiespältige Wesen dieses Stiles, in dem sich
kraß erlebte Wirklichkeit mit abstrakten Aus-
drucksformen durchdringt, entspricht der dua-
listischen Stellung des modernen Menschen
zwischen Materie und Geist.

Unter denen, die die Sprache der Gotik wie-
der zu brauchen wußten, war der ekstatische
junge Wiener Maler Egon Schiele einer der
ersten. — Eros hatte ihm die vergessenen
Worte eingegeben............... w. b.

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