Ein freier Garten
lilly |acker. aus der skizzenmappe: »revuekositme«
toller leben droben auf der Anhöhe die Farren
und der Ginster. Sie bilden dichte, weit über
mannshohe Dickichte, zwischen denen schmal
die Pfade laufen. Den Ginster hat die sorgende
Hand durch Ausschneiden zu wahren Ginster-
bäumen gezogen, so daß sie nun mit fast exo-
tischem Aspekt einen runden begrasten Platz
für den Nachmittagskaffee umzäunen; nicht ohne
den Blick auf feine, schwingende Hügellinien
der Ferne freizugeben. Aber ein noch reiz-
volleres Spielzeug von Exotik ist ein kreis-
runder Platz, der inmitten
der Farren wildnis ausgespart
ist. Er dient zum Sonnen-
bad, die Farrenmauer deckt
ihn völlig gegen Sicht, und
man blickt in den überpalm-
ten winzigen Urwald der
Tausende dünner Farren-
stämmchen hinein wie in
ein tropisches Märchenbild
des Douaniers Rousseau. —
Wie gesagt, dieser Garten
ist eine Wildnis; aber eine
Wildnis, in der jedes Pflan-
zenwesen von einem Men-
schen behorcht und ange-
redet ist; behorcht um das
ihm eigene Leben, angeredet
um freundlichen Dienst am
Menschen, ohne das Leiseste
an Knechtung. Ich denke
mir, daß der Besitzer dieses
Gartens ein Mensch ist, des-
sen Leben sich gemeinhin in
bemessenem, vielleicht so-
gar knappem Raum bewegt;
der wahrscheinlich keine
breit ausgreifende Natur ist
und den Menschen gegen-
über eher zu einer gewissen
Zurückhaltung als zu san-
guinischem Eingehen auf sie
gestimmt ist. Ich schließe
das erste daraus, daß dieser
Garten so überaus intensiv
ist; auf kleinem Raum un-
endlich viel Landschaft, un-
endlich viel Liebe, Lebens-
wissen und Gestaltungskraft,
feinste und weiseste Model-
lierung. Und ich schließe
das zweite daraus, daß es
innerhalb dieser Grenzen
eine Unmenge Freiheit, Los-
gelassenheit, Üppigkeit des
Lebens gibt, wie sie nur
derjenige um sich zu dulden pflegt, der das
Unfrische, Verdrehte und Verschobene der
Menschenwelt sehr deutlich erkannt hat. Es
ist in einer solchen Duldung der Pflanzenfreiheit
etwas Religiöses; und zugleich ist eine reife,
hohe Menschlichkeit darin: mit Pflanzen um-
gehen wie mit seinesgleichen, höflich, taktvoll,
zurückhaltend, und doch ihnen gegenüber den
Menschen bestimmt zur Geltung bringen als das
Wesen der höheren Zwecke und der höheren
Verantwortung...........Wilhelm michfl.
lilly |acker. aus der skizzenmappe: »revuekositme«
toller leben droben auf der Anhöhe die Farren
und der Ginster. Sie bilden dichte, weit über
mannshohe Dickichte, zwischen denen schmal
die Pfade laufen. Den Ginster hat die sorgende
Hand durch Ausschneiden zu wahren Ginster-
bäumen gezogen, so daß sie nun mit fast exo-
tischem Aspekt einen runden begrasten Platz
für den Nachmittagskaffee umzäunen; nicht ohne
den Blick auf feine, schwingende Hügellinien
der Ferne freizugeben. Aber ein noch reiz-
volleres Spielzeug von Exotik ist ein kreis-
runder Platz, der inmitten
der Farren wildnis ausgespart
ist. Er dient zum Sonnen-
bad, die Farrenmauer deckt
ihn völlig gegen Sicht, und
man blickt in den überpalm-
ten winzigen Urwald der
Tausende dünner Farren-
stämmchen hinein wie in
ein tropisches Märchenbild
des Douaniers Rousseau. —
Wie gesagt, dieser Garten
ist eine Wildnis; aber eine
Wildnis, in der jedes Pflan-
zenwesen von einem Men-
schen behorcht und ange-
redet ist; behorcht um das
ihm eigene Leben, angeredet
um freundlichen Dienst am
Menschen, ohne das Leiseste
an Knechtung. Ich denke
mir, daß der Besitzer dieses
Gartens ein Mensch ist, des-
sen Leben sich gemeinhin in
bemessenem, vielleicht so-
gar knappem Raum bewegt;
der wahrscheinlich keine
breit ausgreifende Natur ist
und den Menschen gegen-
über eher zu einer gewissen
Zurückhaltung als zu san-
guinischem Eingehen auf sie
gestimmt ist. Ich schließe
das erste daraus, daß dieser
Garten so überaus intensiv
ist; auf kleinem Raum un-
endlich viel Landschaft, un-
endlich viel Liebe, Lebens-
wissen und Gestaltungskraft,
feinste und weiseste Model-
lierung. Und ich schließe
das zweite daraus, daß es
innerhalb dieser Grenzen
eine Unmenge Freiheit, Los-
gelassenheit, Üppigkeit des
Lebens gibt, wie sie nur
derjenige um sich zu dulden pflegt, der das
Unfrische, Verdrehte und Verschobene der
Menschenwelt sehr deutlich erkannt hat. Es
ist in einer solchen Duldung der Pflanzenfreiheit
etwas Religiöses; und zugleich ist eine reife,
hohe Menschlichkeit darin: mit Pflanzen um-
gehen wie mit seinesgleichen, höflich, taktvoll,
zurückhaltend, und doch ihnen gegenüber den
Menschen bestimmt zur Geltung bringen als das
Wesen der höheren Zwecke und der höheren
Verantwortung...........Wilhelm michfl.