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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 63.1928-1929

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Neugass, Fritz: Henri Matisse 1869-1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.9253#0383

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HENRI-MATISSE 1869-1929

VON DR. FRITZ NEUGASS

Der 60 jährige Künstler steht heute am Ende
seiner Entwicklung. Er, der einst der
größte aller Neuerer war, der noch vor 20 Jah-
ren der jungen Kunst die neuen Wege wies und
Maler aus der ganzen Welt um sich scharte, ist
wie Van Dongen — sein Genosse der Sturm-
und Drangzeit •— zum Modemaler geworden.
Er lebt in Nizza auf seinem großen Besitz und
malt Odalisken und immer wieder Odalisken.
Sie sitzen oder liegen auf seidenen Kissen vor
gestreiften, geblümten oder karierten Tep-
pichen und Tapeten. Die Fülle des Ornaments
erdrückt die Figuren, die wiederum in ihrem
dünnen linearen Formenspiel zu Arabesken
werden. Eine rote Weste, eine blaue Hose,
schwarze Haare, gleißender Schmuck, farben-
prächtige Hinter- und Untergründe und das
Spiel von vertikalen und horizontalen Linien
gewähren Rhythmen und Akkorde, die in ihrer
hellen, lichten und delikaten Komposition von
keinem anderen Künstler unserer Tage erreicht
werden. Ein einzelnes Bild dieser Art ist von

höchstem Wohlklang, aber serienweise wirken
sie ermüdend. Die Kollektiv-Ausstellungen, die
in diesem Jahre zu des Meisters 60. Geburtstag
zusammengebracht werden, werden diesen Ein-
druck noch bestärken. Er selbst hat den toten
Punkt in seiner Malerei erkannt und fordert
von der Kunstkritik, daß er „nur in der Ge-
samtheit seines Werkes, in der großen Kurve
seiner Entwicklung" beurteilt werde.

1869 geboren, hatte er in seiner Jugend die
stärkste aller Revolutionen in der bildenden
Kunst miterlebt und wurde kraft seiner zielbe-
wußten Energie zum Führer der Avant-Garde,
die als die Gruppe der „Fauves" die alten For-
men zerstörten, um auf den Trümmern des Im-
pressionismus einen neuen Stil, eine neue Male-
rei zu begründen. Das Erbe, das Matisse über-
nahm, war nicht sehr groß. Als Schüler im Ate-
lier Gustave Moreaus, der ein schlechter Maler,
aber ein guter Lehrer war, hat er sich haupt-
sächlich um eine solide Technik und um ein
akademisches Aktstudium bemüht. Seine Skiz-

XXXII. Min 1929. 1
 
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