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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 63.1928-1929

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Levinson, André: Chana Orloff - Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.9253#0401

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CHANA ORLOFF-PARIS

In jeder neuen Schöpfung der Frau Chana
Orloff vollzieht sich der Ausgleich zwischen
Form und Ausdruck in ursprünglicher, durch-
aus eigentümlicher Weise. Denn von neuem
ersteht jedesmal der Stil des Bildwerks, in un-
verwüstlicher Frische, aus den Anregungen des
Vorwurfs. Sobald die Künstlerin das mensch-
lich Wesentliche ihres jeweiligen Modells mit
unbeirrtem Scharfblick erspäht, die Geheim-
schrift seiner Physiognomik entziffert hat, setzt,
in verwegenem, improvisatorisch großzügigem
Schwünge, die plastische Gestaltung ein. Kör-
perliches und Seelisches geht in Volumen und
Maße, Rundung und Schräge auf. Zwar schwelgt
die verblüffende psychologische Einsicht der
Künstlerin im Charakteristischen; ja sie streift
an die Karikatur I Es liegt eine Dämonie in ihrer
Anschauung, ein beinahe grausamer Humor.

Nie aber wird ein Bildnis von ihrer Hand zum
expressionistisch verrenkten oder verstiegenen
Zerrbild. Die Steigerung der Ähnlichkeit bis ins
Unheimliche wird durch folgerichtigen Aufbau,
Vereinfachung und Verschärfung erzielt. Eine
Büste, wie etwa die des Malers Rubin, ist kein
Abklatsch, kein nachgeahmtes Ebenbild, eher
aber das Sinnbild einer Persönlichkeit, Kunde
und Wahrzeichen deren verborgenen Ich's.

So wird der Bildhauerin jeder neue Stoff
zum Erlebnis und zugleich zum Formproblem.
Durch bedeutsame Verschiebung des natür-
lichen Ebenmaßes, willkürliche Verkürzung oder
Dehnung der Glieder, ja durch die Wahl des
Materials, ob Holz oder Zement, und durch die
Einstellung der Figur in den Raum, kommt die
Absicht zur Geltung. In eine schiefe Fläche
eingebaut, setzt sich, in kantigem Zickzack das

XXXU. Man 1929 8
 
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