Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (2,1): Kunst und Künstler Italiens bis um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1878

DOI Artikel:
Dobbert, Eduard: Niccolo Pisano: gest. um 1280
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.36088#0018

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
NICCOLO PISANO.

4

Bis auf eine nahezu unglaublich niedere Stufe war im Mittelalter die Sculptur
in Italien herabgefunken. Es war, als hätte die Antike gerade auf dem Gebiete
der Kunft, auf welchem he ihr Grölstes geleiftet, alle Macht verloren. Die ita-
iienilche Bildnerei des 11. und 12. Jahrhunderts weift Erzeugniffe auf, die kaum noch
auf die Bezeichnung eines Kunftwerks Anlpruch machen können. Ein Werk wie die
Erzthür an der Kirche S. Zeno zu Verona, auf deren belonders rohem linken
Flügel gänzlich milsgeftaltete, ausdruckslole menfchliche Figuren ohne jede Rück-
licht auf eine geordnete Raumfüllung über die Platten wie zufällig verftreut find,
deutet auf einen argen Kunftverfall. Ift die eherne Thür am Dom zu Pila, ein
Werk des 12. Jahrhunderts, auch weniger roh als die eben genannte zu Verona,
io ift doch der Fortfehritt ein lehr geringer. Nicht viel günftiger gehaltet hch
das Urtheil über die italienifchen Steinarbeiten des 11. und 12. Jahrhunderts.
Die bedeutenderen Städte des nördlichen und mittleren Italiens haben aus dieler
Epoche Reliefs an Kirchenfaffaden, Kanzeln., gottesdienftlichen Geräthen aufzu-
weilen, deren Verfertiger meift ihren Namen beigeletzt haben; der Kunftwerth
diefer Arbeiten eines Nicolaus und Wiligelmus in Modena und Verona, eines
Anielmus in Mailand, der Meifter Robertus und Biduinus in Lucca, des Gruamons
in Piftoja u. A. ift aber ein lehr geringer. Die Künftler felbft und ihre Zeit-
genoffen müffen allerdings anders geurtheilt haben, fonft hätten he lblchen
Werken nicht fb prunkende Inlchriften beigegeben, wie z. B. diejenige an der
Porta romana zu Mailand, wo der Bildhauer Anfelmus, der Urheber roher Reliefs
aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, als ein zweiter Daedalus geprielen,
oder die Inlchrift am Dom zu Modena, wo der Meifter Wiligelmus für leine,
wenn auch nicht gerade leblofen, io doch lehr ungelchickten Sculpturen hoch
gerühmt wird. Gerade diefes Lob lo roher Kunfterzeugniffe beweift, dals das
Niveau des Kunftgefühles lehr tief gefallen fein mulste. Erft gegen Ende des
12. Jahrhunderts macht hch ein entlchiedener Fortfehritt bemerkbar. Darftel-
lungen, wie diejenige aus der Barlaam-Legende im Bogenfelde des lüdlichen
Portals der Taufkirche zu Parma (wahrfcheinlich ein Werk des Benedictus-An-
telami), oder wie die Reliefs am öftlichen Portal des Baptifteriums zu Pila zeigen
neben gefteigerter Lebendigkeit der Bewegungen auch eine geordnetere Form-
gebung. An dem zuerft genannten Werke ift aber vor Allem eine deutliche An-
lehnung an antike Mufter bemerkenswerth, indem die dafelbft angebrachten Per-
foniheationen der Sonne und des Mondes nicht blofs im Coftüm, londern in der
ganzen Auffaffung antiken Geift athmen. Sol und Luna ftürmen auf antiken
Wagen, jener von zwei feurigen Roffen, diefe von zwei Stieren gezogen, einher.
Hier zeigt die Kunft endlich wieder einmal die Fähigkeit, in überzeugender Weile
eine Bewegung auszudrücken. Im Allgemeinen aber fteht die italienifche Sculptur
auch noch in der erften Hälfte des 13. Jahrhunderts auf geringer Höhe. Kein
Gedanke daran, dals he hch mit den gleichzeitigen Leitungen der Bildhauer an
den Faffaden der frühgothilchen Kirchen Frankreichs oder den Werken der lach-
hlchen Schule in Wechlelburg und Freiberg meffen könnte!
Aus diefem wenig erfreulichen Zuftande fteigt plötzlich die Kunft Niccolo
PilänoT empor. Kein Wunder, dals man fchon früh angefangen hat, nach den
muthmaafslichen Vorftufen derfelben zu forlchen.
Das erfte feftftehende Datum aus Niccolo's Leben ift das Jahr 1260, in
welchem er laut Inlchrift die Kanzel im Baptifterium zu Pila vollendete. Diele
 
Annotationen