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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (2,1): Kunst und Künstler Italiens bis um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1878

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Vischer, Robert: Giovanni Antonio de' Bazzi, genannt il Sodoma: geboren c. 1477 in Vercelli, † 1549 in Siena
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https://doi.org/10.11588/diglit.36088#0581

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Giovanni Antonio de' Bazzi,
genannt il Sodoma.
Geborene. 1477 in Vercelli,']* 15^9 in Siena
Das Gehirn, welches über dem Leben der Künde waltet, liebt es zuweilen,
die Doppelform des Phantahe-Ideals, deren Spaltung und Ausgleichung wir mit
mehr oder weniger Evidenz in jedem Kundwerke unterfchciden können, nämlich
den Ausdruck der kämpfenden und den der harmlofen oder verföhnten Schön-
heit in zwei ausgefprochenen Repräfentanten perfönlich zu verdeutlichen. In
diefem Sinne müffen wir einen Michelangelo mit einem Raffael, einen Poufhn
mit einem Claude, einen Beethoven mit einem Mozart vergleichen. Die Anti-
thefe, welche in Orvieto der Stil des Signorelli zu dem des Fiefole bildet, hinkt
ein wenig, da der letztere einer älteren Zeit angehört und lediglich das kirch-
liche Ideal frommer Seligkeit zu verherrlichen trachtet. Dagegen reihen wir un-
willkürlich Sodoma neben Signorelli. Ihre Fresken in Montoliveto find unmittel-
bare Nachbarn und beide Maler Zeitgenoffen, Sodoma freilich der jüngere und
fchon ein halbes Kind der Hochrenaiffance. Aber frühreif und fchnellfertig hält
er nicht ganz, was er verfprochen, und bleibt fo gleichwohl mit einem Fufs auf
der Schwelle flehen, worauf der alte Signorelli bereits auch den feinigen ge-
fetzt hat.
Sodoma fcheint fpielend zu fchaffen. Die wonnige Schönheit feiner Ge-
halten hat etwas Mühelofes, oft aber auch etwas Wohlfeiles. In Signorelli
arbeitet ein vulkanifcher Wille mit fchweren Hinderniffen; feiten überwindet er
he völlig, doch auch im Banne feher Erdfchichten empfängt er den Zoll unferer
Ehrfurcht. Sodonia's Technik ih gefchmeidig, angenehm, fein Colorit warm ver-
fchmolzen. Signorelli's Pinfelfchrift hat etwas Sprödes, Starrköpfiges, fein Colorit
manchmal eine trockene Herbe. Er malt oft hahig, doch nie liederlich wie zu-
weilen Sodoma. Jener ih erhaben, diefer lieblich. Jener im Leben geordnet, an-
händig, weltmännifch, auf folider Grundlage fufsend, deshalb ein freier, höherer
Mann. Sein Alter friedlich mild und ehrenreich. Sodoma dagegen ein luhiger
Kumpan, zu allerlei närrifchen Pollen neigend, ein heifses, begehrliches, capri-
ciöfes Künhlerblut, ein talentvoller Windbeutel, der mit forglofer Emancipation
von bürgerlicher Ehrbarkeit feinen alkibiadifchen Liebhabereien nachging, dem
aber der Mangel an ernhem, gefammeltem Streben fchliefslich ein ödes Alter
befcheerte.
 
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