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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (2,1): Kunst und Künstler Italiens bis um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1878

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Dobbert, Eduard: Niccolo Pisano: gest. um 1280
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https://doi.org/10.11588/diglit.36088#0037

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KANZEL IM DOM ZU SIENA.

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fcheint, was das Motiv der Bewegung betrifft, eine freie Nachbildung des ent-
fprechenden Theiles jenes alterthümlichen antikihrenden Reliefs in der Anfano-
Capelle zu fein, von welchem oben die Rede war. Der ältefte der Könige mit
dem vorftehenden Mund und Kinn ift wohl gefhffentlich häßlich dargeftellt, um
ihn als Orientalen zu charakteriflren. Denfelben Zweck haben auch die mongo-
lifchen Typen der auf Kameelen reitenden Diener. Die nAnbetungK felbft ift in
der rechten Ecke der Tafel dargeftellt: man fleht hier jenen häßlichen König
demüthig knieen und das Füfschen des Chriftkindes küffen. Letzteres wird von
der freundlichen Mutter forgfam auf dem Schoofs gehalten. " Auch hier zeigt
Maria nichts von der ftolzen königlichen Haltung, wie wir fie in Pifa wahrnehmen;
mit ihrem fchlichten Wefen ift fie eine anmuthige junge Frau. Die beiden jüngeren
Könige nahen hinter dem knieenden voller Ergebenheit mit ihren Gefchenken.
Hat das entfprechende Bild in Pifa bezüglich der Gefammtcompofition entfchieden
den Vorzug antiken Maaßhaltens, fö paßt der Ausdruck der Gehalten in Siena
unvergleichlich beffer zum Vorwurf.
Weniger Lob verdient die folgende Tafel. (S. 21.) Zwar ift hier dienDarbringung
im Tempeln lebhafter und wärmer gefchildert als in Pifa — die Aufmerkfämkeit des
alten Simeon und der wieder viel mütterlicher als in Pifa gegebenen Maria ift
ganz auf das Kind concentrirt, das fleh in den Armen des fremden Greifes un-
behaglich fühlt —; die Compofition diefer Tafel ift aber völlig zerfplittert; denn
wir finden hier ferner den Traum des Jofeph, da ihm der Engel die Flucht nach
Aegypten befiehlt, und dann auch diefe Flucht felbft darftellt. Nicht recht klar
ift die Bedeutung der drei Figuren im Hintergründe rechts, von denen die mittlere,
der Greis mit der Tiara, durch die beiden anderen gekrönten geftützt wird. Haben
wir hier vielleicht eine der ausführlicheren Schilderungsweife des Sienefer Werkes
entfprechende Umgeftaltung jener Gruppe in Pifa vor uns, die den von einem
Knaben geftützten Hohenpriefter zeigte, oder find es wieder die drei Könige aus
dem Morgenlande? Es mangelt der Compofttioin, wie mir fcheint, an Gedanken-
feh ärfe.
Inhaltlich einheitlicher ift die folgende Tafel, der Nbethlehemitifche Kinder-
mordn, componirt. ln der oberen Ecke links giebt der thronende Herodes den
Mordbefehl, der dann von feinen Kriegern in unbarmherziger Weife vollzogen
wird. Dem Befchauer werden in buntem Durcheinander zahlreiche Gruppen ge-
boten. Hier fleht man Mütter, die ihre Kinder gegen die graufamen Angriffe
der unerbittlichen Schergen zu fchützen fuchen, dort eine Frau, die fleh in ihrer
wilden Verzweiflung das Haar rauft, dann wieder eine, die voller Gram auf das
bereits todt auf ihren Knieen liegende Kind hinabfehaut. Wiederholt ift der
Moment dargeftellt, in welchem die Krieger ihre fchreienden und fleh vor Schmerz
windenden Opfer mit dem Schwert durchbohren. Es war dem Ktinftler eine
fchwierige Aufgabe geboten, welcher er denn auch nur in bedingter Weife ge-
wachfen war. Hier und da kommt die Verzweiflung einer Mutter, die Angft
eines Kindes wohl zu lebhaftem, ja ergreifendem Ausdruck, fo daß man etwa
an Giottoß hinreißende Darftellung desfelben Gegenftandes erinnert wird; im
Allgemeinen aber bleibt die Durchführung hinter der Abficht weit zurück. Das
Unmittelbare der Empfindung fehlt vielen der Gehalten allzu fehl*. Das Zu-
fammenziehen der Augenbrauen, das Hinaufziehen der Mundwinkel, welches den
Seelenfchmerz ausdrücken foll, hat mehrfach etwas Schematiches, Maskenhaftes.
 
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