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ANDREA ORCAGNA.
Weiter unten links find in fünf parallelen Reihen die Seligen angeordnet:
Männer,, verfchiedenen Ständen und Berufskreifen angehörend, Könige und
Bilchöfe, Geiftliche und Laien, in der vorderften Reihe die Frauen, Kopf, Wangen
und Hals meiftens auf jene eigenthümliche Weife in Schleier gehüllt, wie wir das
bei Orcagna lowohl in Sta. Maria Novella als auch an den Reliefs in Orfanmichele
fb häufig antreffen. Diefe zahlreichen Gehalten blicken andächtig flehend zu
Chriftus hinauf; die Hände haben fie theils über der Bruft gekreuzt, ganz in der
Weife wie OrcagnaL Maria im )Jtinghen Gerichte der Strozzi - Capelle und bei
der BVerkündigung« in Orfanmichele, theils heben fie diefelben, zum Gebete zu-
fammengelegt, empor. Die Gehalt Johannes des Täufers, welcher, auf einer
Wolke knieend, nach der Mitte zu vor den übrigen Seligen ein wenig vorragt,
entlpricht in auffallender Weife der ebenfalls auf einer befbnderen Wolke knieenden
Johannesfigur in Sta. Maria Novella. Ganz ähnlich ih die zurückgeworfene Haltung
des mit hruppigem Haare bedeckten Kopfes, ähnlich das ganz im Profil ge-
gebene Antlitz; nur ih der Ausdruck deffelben in Pifa noch ekhatifcher, als in
Florenz.
In höchh wirkfamem Gegenfatz zu der Glückfeligkeit, welche in Mienen und
Geberden der für das Paradies Auserleienen herrfcht, heht die Seelenangh auf
der andern Seite des Bildes. Kriegerilch gerühete Engel drängen von dem
mittleren Theil des Gemäldes aus die hierher hrebenden Unglücklichen zurück,
auf der entgegengefetzten Seite greifen höllilche Mächte nach ihnen. Vergeblich
klammern fich die von Teufelskrallen gepackten Frauen (in der untern rechten
Ecke des Bildes) an ihre Nachbarinnen: im nächhen Momente fchmachten fie
in der Hölle. Hier ih wieder ein bedeutender Contrah gegeben. Während näm-
lich an der eben genannten Stelle der Compofition eine Frau fich frei zu machen
fucht von dem Weibe, welches he am Kleide gefafst hat, um fb den Klauen
eines Teufels Widerhand zu leihen, hilft auf der Seite der Seligen eine Frau
einer andern jugendlichen weiblichen Figur, die he freudigen Blickes, vielleicht
als ihre Tochter, erkennt, aus dem Grabe. Dem Künftler ih es gelungen, auf
der Seite der Verdammten den Ausdruck der Angh mannichfaltig zu variiren.
Hier macht fich die Verzweiflung in lautem Schreien Luft, dort wieder blickt
ein Elender dritter vor fich hin: was hilft ihm jetzt feine Reue! Einige bedecken
weinend ihre Augen mit den Ständen, Andere blicken voll Angh und Grauen
nach den he zurückhofsenden Engeln, dielen hrengen Vollhreckern des gött-
lichen Willens. Viele ringen in ihrer Herzensangh die Hände, wieder Andere
fuchen fich vor den züngelnden Flammen zu bergen, welche von der Hölle aus
hierher dringen. Dieter Theil des Bildes bietet die gröfste Aehnlichkeit mit der
entfprechenden Partie des jünghen Gerichtes in Sta. Maria Novella, wo wir die-
felbe drahiiche Geberden- und Mienenfprache und ein ähnlich phantahifches
Cohtim antreffen.
In dem mittlern Vordergründe des Gemäldes hat der Meiher jene originelle
Epifode geichaffen, deren fchon bei Gelegenheit von OrcagnaL Malereien in
Sta. Croce gedacht ward. Auf der Seite der Seligen heigt ein als Heuchler be-
zeichneter Mönch aus dem Grabe. Er gehört aber eben nicht hierher. So hat
ihn denn auch fchon ein kriegeriicher Engel am Haare ergriffen und weih ihm
hreng den Weg nach der Seite der Verdammten; dort ih aber ein mildblicken-
der paradiefesreifer Mann dem Grabe enthiegen und wird auf Geheifs des Erz-
ANDREA ORCAGNA.
Weiter unten links find in fünf parallelen Reihen die Seligen angeordnet:
Männer,, verfchiedenen Ständen und Berufskreifen angehörend, Könige und
Bilchöfe, Geiftliche und Laien, in der vorderften Reihe die Frauen, Kopf, Wangen
und Hals meiftens auf jene eigenthümliche Weife in Schleier gehüllt, wie wir das
bei Orcagna lowohl in Sta. Maria Novella als auch an den Reliefs in Orfanmichele
fb häufig antreffen. Diefe zahlreichen Gehalten blicken andächtig flehend zu
Chriftus hinauf; die Hände haben fie theils über der Bruft gekreuzt, ganz in der
Weife wie OrcagnaL Maria im )Jtinghen Gerichte der Strozzi - Capelle und bei
der BVerkündigung« in Orfanmichele, theils heben fie diefelben, zum Gebete zu-
fammengelegt, empor. Die Gehalt Johannes des Täufers, welcher, auf einer
Wolke knieend, nach der Mitte zu vor den übrigen Seligen ein wenig vorragt,
entlpricht in auffallender Weife der ebenfalls auf einer befbnderen Wolke knieenden
Johannesfigur in Sta. Maria Novella. Ganz ähnlich ih die zurückgeworfene Haltung
des mit hruppigem Haare bedeckten Kopfes, ähnlich das ganz im Profil ge-
gebene Antlitz; nur ih der Ausdruck deffelben in Pifa noch ekhatifcher, als in
Florenz.
In höchh wirkfamem Gegenfatz zu der Glückfeligkeit, welche in Mienen und
Geberden der für das Paradies Auserleienen herrfcht, heht die Seelenangh auf
der andern Seite des Bildes. Kriegerilch gerühete Engel drängen von dem
mittleren Theil des Gemäldes aus die hierher hrebenden Unglücklichen zurück,
auf der entgegengefetzten Seite greifen höllilche Mächte nach ihnen. Vergeblich
klammern fich die von Teufelskrallen gepackten Frauen (in der untern rechten
Ecke des Bildes) an ihre Nachbarinnen: im nächhen Momente fchmachten fie
in der Hölle. Hier ih wieder ein bedeutender Contrah gegeben. Während näm-
lich an der eben genannten Stelle der Compofition eine Frau fich frei zu machen
fucht von dem Weibe, welches he am Kleide gefafst hat, um fb den Klauen
eines Teufels Widerhand zu leihen, hilft auf der Seite der Seligen eine Frau
einer andern jugendlichen weiblichen Figur, die he freudigen Blickes, vielleicht
als ihre Tochter, erkennt, aus dem Grabe. Dem Künftler ih es gelungen, auf
der Seite der Verdammten den Ausdruck der Angh mannichfaltig zu variiren.
Hier macht fich die Verzweiflung in lautem Schreien Luft, dort wieder blickt
ein Elender dritter vor fich hin: was hilft ihm jetzt feine Reue! Einige bedecken
weinend ihre Augen mit den Ständen, Andere blicken voll Angh und Grauen
nach den he zurückhofsenden Engeln, dielen hrengen Vollhreckern des gött-
lichen Willens. Viele ringen in ihrer Herzensangh die Hände, wieder Andere
fuchen fich vor den züngelnden Flammen zu bergen, welche von der Hölle aus
hierher dringen. Dieter Theil des Bildes bietet die gröfste Aehnlichkeit mit der
entfprechenden Partie des jünghen Gerichtes in Sta. Maria Novella, wo wir die-
felbe drahiiche Geberden- und Mienenfprache und ein ähnlich phantahifches
Cohtim antreffen.
In dem mittlern Vordergründe des Gemäldes hat der Meiher jene originelle
Epifode geichaffen, deren fchon bei Gelegenheit von OrcagnaL Malereien in
Sta. Croce gedacht ward. Auf der Seite der Seligen heigt ein als Heuchler be-
zeichneter Mönch aus dem Grabe. Er gehört aber eben nicht hierher. So hat
ihn denn auch fchon ein kriegeriicher Engel am Haare ergriffen und weih ihm
hreng den Weg nach der Seite der Verdammten; dort ih aber ein mildblicken-
der paradiefesreifer Mann dem Grabe enthiegen und wird auf Geheifs des Erz-