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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (2,1): Kunst und Künstler Italiens bis um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1878

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Semper, Hans; Dohme, Robert: Filippo di Ser Brunellesco: geb. in Florenz 1377, gest. daselbst 1446
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https://doi.org/10.11588/diglit.36088#0255

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FILIPPO BRUNELLESCO.

Dreiviertelftäbe, flarkgefchweifte Carniefsformen wendet er mit Vorliebe an, oft
mehrfach aneinandergereiht. In naiv realiftifcher Weile belebt er in der römi-
fchen Antike fchon fchematifch gewordene Prohlirungen wieder durch Formen,
die er dem unmittelbaren Leben entnahm, und mit denen er die urlprüngliche
Bedeutung der betreffenden Glieder oft mit glücklichem Gefühl verfinnlichte. So
behandelt er, um nur ein Beifpiel zu geben, Rundftäbe meift als Blattgewinde.
Befonders fchön und reich find auch die Prohlirungen feiner Archivolten, die an
allen feinen echten Bauten typifch wiederkehren. Die Seitenprofile find hier nicht
wie fpäter einfach architravartig, fondern als reiche Rahmen gebildet, die un-
teren Seiten zeigen zwei verzierte Rundftäbe nebeneinander, eingefchloffen von
Fascien, unterbrochen von Scheiben. Auch den Architraven giebt er an den
Unterfeiten die nämliche Ausbildung. Mit befonderer Vorliebe wendet er ferner
Confole an, als Träger, theils von Wandgebälken, theils von Gewölbfüfsen,
und giebt ihnen die mannigfaltigften Formen. Die Mauerkanten belebt er meift
durch dünne fchlanke Dreiviertfaulchen, die oberhalb der Mauerfockel ent-
fpringen. Kein Kanon liegt feinen Details zu Grunde, vielmehr lucht er diele
ftets dem Charakter des Ganzen anzupaffen. Bald find feine Profile fteiler,
bald weicher, bald mehr antik, bald faft gothifch, wie z. B. das Kranzgefims
am Langfchiff des Domes. Hierzu mochte allerdings eine mangelhafte Kennt-
nifs der antiken Formen und ihrer Gefetze beitragen, allein diefer Mangel wird
gerade zum Vorzug. Auch im Ornament führt er, mit Beibehaltung der antiken
Grundtypen, einen grofsen Reichthum vegetabilifcher und animalifcher Formen aus
der unmittelbaren Natur ein, und gab ihm zugleich eine fchlankere, mehr auf die
Linien- alsMaffenwirkung berechnete Stilifirung, als he das romifche Ornament zeigt.
Diefer fchlanke, oft magere, auf edle und reine Linienführung vor Allem hinzie-
lende Charakter bleibt der ganzen Ornamentik der guten Renaiffance im Gegen-
fatz zu der plaflifch kräftiger gebildeten römifchen eigen. Befonders liebt er am
Ornament die Palmette und das Lorbeerblatt; ja die eigenthümlich wellenförmige
Modellirung diefes letzteren überträgt er auch auf anderes Blattwerk. Palmette
und Lorbeerblatt wendet er auch an Kapitellen, fo in der Badia, gern an.
Wenn wir fchliefslich die gefchichtliche Bedeutung BrunellescoL in wenige
Worte zufammenfaffen wollen, fo ift er als der Begründer der wirklich modernen
Architektur anzufehen, welche auch heutzutage wieder mehr und mehr zur Herr-
fchaft gelangt, nachdem he durch die Ausartungen des i/. und 18. Jahrhunderts
fowie die Stilpfufchereien und Experimente vom Beginn des 19. zur Seite ge-
drängt worden war. Ebenbürtig fleht er neben den gröfsten Meiftern, welche die
Kunftgefchichte kennt, des Dankes und der Bewunderung der Nachwelt nicht
minder werth als ein Rafael und Michelangelo; als Architekt aber ift er dem Ver-
ftändnifs der Menge ferner geblieben, und fo fein Ruhm in den Augen der Modernen
nur zu oft felbft hinter dem von Malern zweiten Ranges zurückgetreten.
 
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