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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 14.1903

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Neter, Rudolf: H. P. Berlage's Neue Börse in Amsterdam
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https://doi.org/10.11588/diglit.6711#0220

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INNEN-DE KOR ATION.

H. P. herlage-amsterdam. Haupt-Eingang zur Börse.

baut, wie der Vogel sein Lied singt). Berlage ist
eben nur ein Architekt. Aber das ist immerhin
von einiger Bedeutung, wenn es auf's Bauen an-
kommt. Der Unterschied ist der: Der Renaissance-
Nachempfinder brachte seinen Stil mit und richtete
danach den Bau und seine Zwecke mehr oder
weniger ein. Berlage findet den Zweck vor und
richtet danach den Stil ein. Unerbittlich, rück-
sichtslos, mit eiserner Logik. Er ist der leiden-
schaftlichste Poet des Zweckmässigen, den wir seit
langer Zeit erlebt haben. Und da unsere Zeit ganz
neue, andere Bedürfnisse aufstellt, wie das 17. Jahr-
hundert, an dem wir so lange klebten, da sie so
etwas kennt, wie Eisenbahnen, hydraulische Auf-
züge, elektrische Beleuchtung, Ventilation, Tele-
graph, Post-Abholfächer und ähnliches, so ist es be-
greiflich, dass der Stil für einen Bau, der sich direkt
oder indirekt nach all diesen Dingen richten soll,
auch ein anderer, neuer sein muss, von fast brutaler
Eigenartigkeit. — Und dazu kommt noch ein anderes.
Etwas, das gerade Amsterdam dazu prädestiniert,
den Baumeister der heutigen Zeit in strenger, herber,
scharfbegrenzter Zucht werden zu lassen. Es ist
der schlammige Boden, in den erst Pfähle einge-
schlagen werden müssen, ehe der Bau beginnt, der
also von vornherein wuchtige, massive Haustein-
Stein-Extravaganzen ausschliesst. Dann der Mangel
an gewachsenen Steinen selbst, der dem Baumeister
Backsteine als Baumaterial vorschreibt. Ich glaube,

dass nicht wenig von der ernsten, einfachen Grösse
von Berlage's Börse, auf diese strenge natürliche
Erziehung zurückzuführen ist. Das ist es auch,
was dem Bau die harmonische innere Einheitlich-
keit mit dem gesamt-architektonischen Bild der
Stadt gibt. Und diese Einheitlichkeit macht gerade
auf uns Deutsche den stärksten Eindruck, die wir
die Eigenwilligkeit der Bauten deutscher, moderner
Strassen-Bilder in ihren Skalen von neugotischer
Ritterburg bis zum englischen Landhaus zur Genüge
kennen. — Mit holländischem Material gebaut, nach
Prinzipien, wie sie der holländische Boden erfordert
und die Bedürfnisse der Amsterdamer Handelswelt
kategorisch wollen — ist diese Börse holländisch,
trotz allen Mangels an Tradition. Und diese Tra-
dition fehlt wirklich, wie ein einziger Blick auf ihre
Aussenseite (S. 189) beweist

Eine 140 Meter lange Seiten-Fassade, in die
abgeflachte Türme den einzigen Rhythmus bringen,
ist nur durch die klug vorausberechnete perspek-
tivische Verkürzung möglich, in der sie die Strasse
(Damrak) zeigt. Zwei dieser Türme mit grossen
Öffnungen für die Ventilation flankieren das Haupt-
Portal der Seiten-Fassade (S. 190), darüber ein
Relief von Bildhauer Zyl mit etwas zu viel und
etwas zu kleinen Figuren. Der Hauplturm an der
Ecke der Haupt- und Seiten-Fassade wurde zu einer
interessanten architektonischen Merkwürdigkeit, da
die Seiten-Fassade eine weniger breite Fläche be-

H. P. Berlage. Säulen-Stellung in der Waren-Börse.
 
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