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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 14.1903

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Bodenhausen, Eberhard von: Notizen zu van de Velde's neuesten Schöpfungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.6711#0278

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24«

INNEN - DE KO RATION.

fasst die Mannigfaltigkeit seiner inneren Linien-
Führung in ein räumliches Gesamt-Gebilde ein-
fachster Form zusammen. Bemerkenswert ist nun
weiter, wie diesem in der Kontur einfach und wuchtig
geformten Gebilde ein Eindruck von Leichtigkeit
der Konstruktion verliehen wird. Zunächst wirkt
die den eigentlichen Schrank umgebende, von der
besprochenen konturierenden Vertikal-Verbindung
eingefangene Raum-Zone in diesem Sinne. Weiter
aber treten der wuchtenden Schwere des Ganzen
die elastisch bewegten Tür-Füllungen in einem form-
sprengenden, lastbewältigenden Sinne nachdrucks-
voll entgegen. Vom inneren Fuss aus führt an der
äusseren Kurvatur der Schubfächer entlang durch
die Schrägungs-Winkel der Tür-Füllungen hindurch
eine Linie, die sich hier in die Horizontale umsetzt,
die in leicht anstrebender Kurve der Mitte und der
entgegenwirkenden ensprechenden Wiederholungs-
Linie zustrebt und die mit der ang-esammelten
Elastizität und Energie von hier emporschnellt, um
das Schlüssel-Schild zu umklammern. Diese ganze
Linien-Führung, die auf ihre Weise wieder ein
zweites Komplement, eine andere Ergänzung zu
der formbegreifenden äusseren Kontur darstellt,
wirkt im Sinne einer Aufhebung der Schwerkraft,
im Sinne einer leichteren Gestaltung des ganzen
Gebildes. Man kann sich leicht davon überzeugen.
Man unterbreche die Linie, man decke den unteren
Teil der Tür-Füllung auf der Reproduktion zu,
und man wird erstaunt sein, zu gewahren, wie viel
schwerer das Ganze wirkt. Im gleichen, die Schwere
bewältigenden Sinne wirkt auch die, beide Füsse
verbindende untere Kurve. Es tritt dies besonders
deutlich am Büffet S. 258 zu Tage. Hier zeigt
sich von neuem, wie wenig man mit dem Prinzip
der Konstruktion allein auskommen kann, will man
die Werke van de Velde's ganz verstehen. Kon-
struktiv ist diese Verbindung ohne Bedeutung. Aber
man decke sie ab. Das ganze Gebilde nimmt damit
eine lastendere Gestalt an.

Alle Möbel van de Velde's weisen eine absolute
Sicherheit, eine beruhigende Zuverlässigkeit der
Konstruktion auf. Sie haben eine Kraft der Form
und des Aufbaues, die, im Gegensatz zu vielen
anderen Erscheinungen des modernen Kunst-Hand-
werkes, einen Zweifel an ihrer Haltbarkeit und

ihrer Gebrauchs-Sicherheit ausschliessen. Aber das
Streben nach Leichtigkeit, das von anderer Seite
in einer allzu feinen, allzu gebrechlichen Gestaltung
der tragenden Form seinen Ausdruck findet, tritt
auch bei van de Velde, nur in völlig gewandeltem
Sinne, zu Tage. Von ihm zuerst ist die siegreiche
Kraft einer diesem Streben Rechnung tragenden
Linien-Führung erkannt und verwertet worden. Von
Jahr zu Jahr lässt sich in seinen Werken die Ent-
wickelung verfolgen, wie die Sicherheit und Ge-
schlossenheit seiner Konstruktion wächst, aber wie
nun weiter dieser erdgefesteten Konstruktion im
befreienden Sinne ein Kräftespiel von Linien ent-
gegenwirkt, das einer fortschreitenden Entmateriali-
sierung der Materie zustrebt. Nirgends tritt die in
diesem Sinne ästhetisch wirksame Kraft einer solchen
glücklich geführten Linie deutlicher zu Tage, als
in dem auf S. 24g abgebildeten Kleider- und Wäsche-
schrank. Wie da aus den äusseren Winkeln der
Tür-Füllungen die beiden Kurven in gespannter
Schwellung der Mitte zustreben, wie diese Kurven
dann oben im umgekehrten Sinne nachklingen, um
schliesslich von der krönenden Kurvatur des ganzen
Schrankes eingefangen und verhalten zu werden,
da scheint dieses Kräftespiel in seinem Streben und
in seinem Ausgleich dem ganzen Gebilde ein
eigenstes, dem Wesenskern entstammendes Leben
zu verleihen, das dem Leben eines Organismus
parallel geht und das unserem Gefühl neben dem
bestimmenden Eindruck eines sicheren gefesteten Auf-
baues den einer bewegten Leichtigkeit übermittelt.

Die neuesten Stühle zeigen einen gewaltigen
Fortschritt des Künstlers. Man achte auf die Fein-
heit von Linien und Form der Stuhlbeine S. 259.
Wie sicher gestellt und wie lebendig bewegt. Ein
Tisch, wie auf S. 253 steht vor uns wie ein Stück
Natur selbst, so selbstverständlich, so geschlossen
und so unendlich fein in jeder Einzelheit. Ein Stuhl
wie auf S. 254 ist in dieser graziösen Sicherheit, in
dieser verhaltenen und gleichzeitig leichten Form
seit Chippendale's Tagen nicht geschaffen worden.
— Aber das alles sind nur Details. Seine ganz
tiefe, ganz schöpferische Bedeutung liegt, wie ge-
zeigt wurde, auf dem Gebiete der Architektur. Er
ist reif für die grössten Aufgaben. Möchten sie ihm
gestellt werden. e. v. b.
 
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