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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 21.1910

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Jaumann, Anton: Der moderne Mensch und das Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.11378#0018

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XXI. JAHRGANG.

DARMSTADT.

JANUAR 1910.

DER MODERNE MENSCH UND DAS KUNSTGEWERBE.

VON ANTON JAUMANN BERI IN.

Ist wirklich die Debatte geschlossen? Steht es
fest, daß der anständige moderne Künstler sich
unweigerlich zu den Prinzipien der Zweckmäßigkeit,
Einfachheit, Konstruktivität, Materialechtheit be-
kennen muß, wenn anders er nicht aus den Reihen
der »Kulturellen« gestrichen sein will? Diese Grund-
säulen des »neuzeitigen« Kunstgewerbes sind mit
solchen Glaubenseifer aufgerichtet, scheinen so un-
erschütterlich dazustehen, daß Zweifel als Böswillig-
keit, als Reaktionsgelüste gedeutet werden.

Aber Zweifel lassen sich immer nur eine gewisse
Zeitlang betäuben; wenn die Festes-Stimmung ver-
rauscht ist, melden sie sich desto nachdrücklicher.

Ich fürchte, die neuen Glaubenssätze haben auch
nur einen relativen Wert. Daß sie so rasch all-
gemeine Uberzeugung geworden sind, soll uns nicht
einmal bedenklich stimmen. Der blasierte Über-
mensch sagt wohl, Kunst könne nie Volksgut
werden, und die Wahrheit, an die die Menge glaube,
sei immer die von gestern, die überholte oder miß-
verstandene. Man braucht durchaus nicht so ver-
ächtlich von den Menschen zu denken, um gelegent-
lich doch über das Gerede vom »Sieg der guten
Sache« ein wenig lächeln zu dürfen. — Die hundert-
mal nachdrücklich aufgestellten Forderungen der

Zweckmäßigkeit, Einfachheit, Konstruktivität, Mate-
rialechtheit haben ihre Berechtigung noch immer
nicht erwiesen. Aber das ist auch gar nicht nötig.
Genug, daß sie anerkannt werden, daß nach ihnen
gehandelt wird. Wurde denn im alten Ägypten
gepredigt, die Kunst müsse großartig, sie müsse
monumental sein, hat das Rokoko seine phantastische
Eleganz auf eine Überzeugung, auf eine Theorie
gegründet? Das Kunstgewerbe ist ein unbewußter
Ausdruck einer Weltanschauung und wechselt mit
dieser. Alle Theorie kann da immer nur hinterdrein
hinken. Sie kann deuten und formulieren, was sie
nicht ändert. Lob oder Tadel sind da machtlos.

Der Mensch akkomodiert sich seine Umgebung,
sie spiegelt sein Wesen. Welche Auffassung er
von Leben, von seiner Bestimmung, von seiner
Stellung zur Welt und zum Jenseits einnimmt, das
spricht sich in seinem Haus, seiner Kleidung, in den
Dingen seines Gebrauchs mit aller Deutlichkeit aus.

Der »moderne Mensch« ist durchaus Materialist.
Er hat keine Illusionen mehr. Sein Wirken und
Trachten ist immer auf das nächste Erreichbare,
auf den Nutzen, den materiellen Gewinn gerichtet.
Die Gesellschaft ist eine Maschine und jeder Mensch
hat darin seine »Funktion«, seinen Zweck. Er dient

i9io. r. i.
 
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