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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 21.1910

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Widmer, Karl: Intimität in der Bürgerwohnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.11378#0303

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INTIMITÄT IN DER BÜRGERWOHNUNG.

Theoretisch ist die Forderung gewiß berechtigt, daß
ein Wohnraum ein einheitliches Kunstwerk sein
soll. Und wenn wir an die von Künstlern entworfenen
Zimmereinrichtungen auf den Ausstellungen denken, so
finden wir diese Forderung auch praktisch verwirklicht.
Aber die Praxis der Ausstellungskunst hat ihre eigenen
Gesetze. Sie arbeitet sozusagen für ideale Bedürfnisse.
Wie verhält es sich dagegen mit der Praxis der Wirk-
lichkeit; inwieweit paßt jene Forderung auch für die
Zimmer, in denen wir wohnen, arbeiten, essen, schlafen?

Das Wertvollste, was uns ein Wohnraum von künst-
lerischer Stimmung geben kann, ist sicherlich das Ge-
fühl des Behagens, der Wunsch: hier möchte ich wohnen.
Wir sprechen von Intimität eines Raums und suchen
darin den Ausdruck einer menschlichen Beziehung zu
ihm. Wie kommt es nun, daß Räume, um die sich
gewiß nie ein Künstler bemüht hat, Wohnzimmer alt-
modischer Leute, Gaststuben ländlicher oder klein-
städtischer Wirtshäuser uns unwiderstehlich mit diesem
Gefühl umfangen können, während oft von Künstler-
hand aufgebaute Meisterwerke der Raumkunst das Ge-
fühl der Kälte und Fremdheit in uns wecken?

Das Geheimnis der Intimität liegt eben nicht allein
in dem, was der Künstler aus einem Raum macht; das
Beste davon muß von selbst hineinkommen, als der
ungewollte Reflex des Lebens. Es ist der Eindruck

des behaglichen Bewohntseins, der dem Raum, mag
er einfach oder reich sein, erst seine wahre Weihe verleiht.

Dieser Eindruck ist aber etwas, das im Grunde der
Forderung einer unbedingten künstlerischen Einheit wider-
spricht. Jene altmodischen Zimmer, jene ländlichen
Gaststuben sind nicht als das fertige Resultat einer bis
ins Kleinste hinein ausgerechneten künstlerischen Kon-
zeption entstanden. Sie sind mit der Zeit geworden,
was sie sind. Die einzelnen Stücke der Einrichtung sind
nicht alle auf einmal zusammengekommen. Sie stammen
vielleicht aus verschiedenen Stilperioden. Auch manche
Geschmacklosigkeit, sogar manches Stück schlechter
moderner Industrieware mag darunter sein; es stört das
Ganze kaum. Denn dieses Vielerlei wird zusammen-
gehalten durch eine Einheit der Stimmung, die das
Leben selbst hineingetragen hat. Also gewisse Ab-
weichungen von den strengen Regeln der Kunst schaden
nichts; ja sie gehören dazu, sollen wir mit einem Raum
durchaus menschlich sympathisieren können. Der Raum
soll eben so wenig, wie der Mensch, der ihn bewohnt,
ein »ausgeklügelt Buch« sein.

Dazu gehören auch die kleinen Unordnungen, die
das Alltagsleben als seine Spuren hinterläßt; solche Zu-
fälligkeiten sind unvermeidlich; sie dürfen den Frieden
der Raumstimmung nicht stören. Und hier liegt sogar
ein praktisches Bedenken gegen allzuhohe Ansprüche

ENTW. ARCHITEKT PAUL BACHMANN—CöLN. SCHLAFZIMMER EINER MIETWOHNUNG. HELL MAHAGONI MIT SCHWARZ.
 
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