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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 38.1922-1923

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Bredt, Ernst Wilhelm: Briefe von Vincent van Gogh
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https://doi.org/10.11588/diglit.14165#0252

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mit noch viel größerem Recht." „Was ich mache,
ist mühsam und spröde, aber das kommt daher,
weil ich mich durch eine etwas härtere Arbeit zu
stählen suche." Doch nichts steht ihm höher als
rastloses Ringen um die Form. Todmüde ist er
jeden Tag von der Arbeit. „So hassenswert und
so beschwerlich in der Zeit, in der wir leben, die
Malerei auch sein mag, so ist doch derjenige,
welcher diesen Beruf gewählt hat, wenn er ihn
trotz allem mit Eifer ausübt, ein pflichtgetreuer,
solider und zuverlässiger Mensch." „Das Symbol
des heiligen Lukas, des Schutzpatrons der Maler,
ist, wie Du weißt, ein Ochse. Man muß also ge-
duldig sein wie ein Ochse, wenn man das Feld
der Kunst bestellen will. Aber die Stiere sind
glücklich zu schätzen, daß ihre Arbeit nicht die
verdammte Malerei ist." Öfters scherzt er über
diesen Schutzpatron und seinen Stier, aber er
weiß, was so wenig Maler sonst wissen, daß es
ebenso interessant und schwierig ist, eine Sache
gut zu sagen, als eine Sache gut zu malen. Seine
kulturelle Umschau überragt die anderer Künstler
nicht zufällig, nicht umsonst; und von der Inten-
sität seiner Studien in den alten und neueren
Meistern zeugen seine Urteile und Hinweise des
Jüngeren auf die Holländer, auf Rembrandt zumal,
den alten Löwen, auf Potter, „der wie ein Bruder
zu Rembrandt gehört". Und wie er sich die Dela-
croix und Goyas, und Courbets und Velasquez
und so viele neuere angeschaut, so zeugen auch
seine Worte über die Bibel, über Luther, über

Ludwig XIV., diesen Methodisten-Salomo, über
Christus, den er als Künstler schier am höchsten
stellt, für die Weite seines Blickes, die Höhe seiner
künstlerischen Erkenntnis. Und wie leidet er an
seiner Zeit, an allen Lasten unserer Rasse und
Zivilisation. „Wann wird man endlich den entsetz-
lichen Weißen mit seiner Schnapsflasche, mit sei-
nem Geldbeutel und seiner Syphilis satt haben?
Den abscheulichen Weißen mit seiner Heuchelei,
seiner Habsucht und seiner Unfruchtbarkeit?" —
Aber er ist kein Revolutionär. Er beklagt den
mangelnden Korpsgeist der Künstler, warnt den
Jüngeren vorm Zwist mit Künstlern, die er hoch-
achtet, er will nur Charakter und Unabhängig-
keit, dünkt es ihm doch — wie er mehrfach
schreibt — unmöglich, daß einer allein die Malerei
schaffe, die ihm vorschwebt. Gruppen von Men-
schen müßten künftig hier zusammenarbeiten.

Zwischen dem ersten und dem zweiten Brief
an Gauguin liegt der Messerangriff. Wie tragisch,
wie verbittert schloß beider Freunde und Führer
Leben. Aber in den Briefen lebt er uns immer
als Ansporn, als Held unserer Zukunft. Die Ver-
tiefung in die Briefe wird der „Anschauung" im
doppelten Sinne zugute kommen. Den Übersetzern
Bellmont und Graber ist herzlich zu danken. Nie-
mand wird diese Briefe ohne Erschütterung und
doch voll Freude aus der Hand geben. Für die
neue Auflage wünsche ich mir nur etwas mehr
Auskunft über Bernard — und ein Register.

Bredt

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