Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 38.1922-1923

DOI Artikel:
Antal, Frederick: Die Ausstellung der Secession und der Brücke in Berlin
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14165#0309

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kraft diesen Künstlern, von denen auch die erste
Initiative zur neuen Kompositionskunst ausging,
noch immer innewohnt. Die Begründer der Brücke
sind alle um 1880—83 geboren, sie haben nun ihre
stürmische, revolutionäre Jugendentwicklung, in
welcher man übertreiben mußte, um überhaupt zu
Resultaten zu kommen, hinter sich und schaffen
jetzt, in ihrem reifen Mannesalter, Werke, welche
wohl zu den wichtigsten und auch besten der heu-
tigen deutschen Kunst zu rechnen sind.

Besonders vor den Bildern Ernst Ludwig Kirch-
ners, des eigentlichen Begründers der Brücke, hat
man den Eindruck, daß sich hier rein durch die
Form, ohne Abgleiten ins Literarische, wahre und
tiefe, innere Erlebnisse auswirken. Seine besten
Werke sind wie aus einer neuen künstlerischenWelt,
immer ist aber noch das ursprüngliche Heraus-
wachsen aus der Natur zu fühlen. Er verwendet
seine wenigen Farben ziemlich ungebrochen und es
entstehen trotzdem oder vielleicht gerade deshalb,
feine und sympathische Gesamtwirkungen ;die„Frau
im Kaffeehaus" ist aus Blau, Grün und Gelb, die
„Schneelandschaft mit Eisenbahn" aus Rot, Weiß
und Braun aufgebaut. Die „Absteigende Kuhherde"
vermeidet — darin einzelnen Tierbildern Marcs
ähnelnd — nicht vollständig die Gefahr des Deko-
rativen.

Neben Kirchner ist wohl Erich Heckel der
bedeutendste Künstler der Brücke. Sein „Friseur-
laden" ist vielleicht jenes Bild der Ausstellung,
welches am meisten Kultur und Tradition besitzt.
Eine gewisse Verwandtschaft zu dem bekannten
Bilde von Henri-Matisse mit den zwei Frauen, von
denen die eine der andern die Haare ordnet, beweist
noch keine Abhängigkeit und gereicht Heckel bloß
zur Ehre. Es ist eine in Linien ganz glänzend abge-
wogene Gleichgewichtskomposition mit drei Figu-
ren, welche hier dem Künstler innerhalb eines
schwierigen, schmalen Hochformats gelungen ist.
Mit zwingender Sicherheit ordnet sich jeder Strich
unter das Ganze. Die Farbe muß hier hinter der
Wichtigkeit der Linie zurücktreten. Wenn auch
dieses Bild im Vergleich zu den übrigen Werken
Heckeis etwas farblos wirkt, so gibt es doch auch
innerhalb dieser beschränkten Farbgebung recht
feine Abstufungen. Keines seiner anderen Bilder
erreicht die formale Strenge dieses Werkes. Die
Vorzüge des „Variete" sind auf koloristischem Ge-
biete; es sind wirklich sehr originell gewählte, wenn
auch nicht genügend nuancierte Farben, welche
hier miteinander spielen und die mit dem sehr
interessant aufgefaßten Thema gut zusammengehn.
Gegen diese zwei Qualitätswerke können sich die
übrigen Bilder Heckeis trotz einzelner schöner
Partien nicht halten und sie wirken — aber eben
nur im Vergleich mit diesen seinen besten Arbeiten
— etwas schematisch, formelhaft.

Karl Schmidt-Rotluff ist ganz anderer Art wie
die beiden vorher besprochenen Künstler; neben
diesen wirken seine in großen Flächen hingesetzten,

dekorativen Farben im ersten Moment laut, bei-
nahe brutal. Dieser Eindruck der Brutalität beruht
aber eher auf einem Temperamentunterschied
zwischen ihm und den viel zarteren Kirchner und
Heckel. Gerade die jetzt ausgestellten Werke
Schmidt-Rotluffs, vor allem die „Frau mit dem
Spiegel" zeigen gegenüber seiner früheren Arbeits-
weise eine gewisse Beruhigung und Abgeklärtheit,
die Farben werden bildmäßiger begründet, wenn
auch noch immer ein gewisser plakatartiger Effekt
bleibt. Von einer unleugbaren Brutalität aber sind
die Bilder Max Pechsteins, der allzusehr darauf
ausgeht, das Publikum durch ein inhaltliches, lite-
rarisches Interesse zu überraschen und zu fesseln.
Er wird nicht müde, seine Südseeinseltypen, Neger-
plastiken und Gauguinfiguren in einem grellen
Ensemble zu Bildern zu kombinieren; seine krassen
Farben haben jedoch gegenseitig nichts miteinan-
der zu tun. Emil Nolde hat zwar auch ein etwas
zu äußerliches Interesse an seinen immer wieder-
kehrenden Typen mit den riesigen Köpfen und
den auffallenden, roten Lippen, aber trotzdem
erreicht er mit ihnen in seinen Bildern einen gewis-
sen, wenn auch etwas zu ostentativ vorgeführten
geistigen Ausdruck; die grellen Farben haben in
ihrem Schwung manchmal etwas Kühnes, Neuarti-
ges. Geschmackvoll sind die auf Linienrhythmus
basierten Aktbilder Otto Müllers; sie sind beinahe
farblos und wirken trotz ihrer straffen Komposition
wie hingehaucht. Auch ein junger Nachwuchs zeigt
in dieser Ausstellung seine Werke. Unter diesen
Jüngeren, welche nicht zu den ursprünglichen
Mitgliedern der Brücke gehören, ist neben Bela
Czobel und W. R. Huth wohl Franz Radziwill der-
jenige, welcher am meisten Ursprünglichkeit und
ein eigenwilliges Talent vermuten läßt; sicher ist
hier noch viel literarischer Einschlag, aber die
Bilder sind aus intensiven, aufrichtigen, freudigen
Farbenerlebnissen geboren und das ist etwas, was
man heute anerkennen soll.

Nur eine unerbittlich ehrliche, nicht im gering-
sten auf Bluff ausgehende, mit allem Können der
vergangenen Kunstperioden ausgestattete Arbeit
kann über die jetzige Krise hinweghelfen. Es war
ja vielleicht nie so schwer wie jetzt, in dieser Über-
gangszeit zwischen zwei verschiedenen Stilen, gut
und modern zu malen, nie die Verlockung so groß
wie jetzt, den schwierigen Weg der Kunstentwick-
lung durch Formeln, durch Manier, durch Litera-
tur abkürzen zu wollen. Der Weg der modernen
Kunst muß, wie zu allen Zeiten, ein organischer
sein; man muß ihn aus den aufeinanderfolgenden
Werken der Künstler sich überzeugend heraus-
bilden sehen. Deshalb halten auch die Männer der
Brücke weiter wie die Jünglinge der Secession und
der Grund dafür ist der gleiche, der auch die Über-
legenheit Corinths verursacht: die gründliche Schu-
lung, das bedeutende Können und die sich in den
Werken dokumentierende innere Notwendigkeit
des künstlerischen Schaffens. Friedrich Antal

291

38'
 
Annotationen