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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 42.1926-1927

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Wolf, Georg Jacob: Kunstfragen um München
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https://doi.org/10.11588/diglit.14162#0097

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KUNSTFRAGEN UM MÜNCHEN

Die besorgten Stimmen und Meinungen, Vor-
träge und Aufsätze, die sich mit der Zukunft
Münchens als Kunststadt befassen, wollen nicht
zur Ruhe kommen. Schon einmal, vor etwa
einem Vierteljahrhundert, wurde die Behaup-
tung vom „Niedergang Münchens als Kunst-
stadt" zum Schlagwort. Aber damals kam die
Stimme von außen her, sie erscholl von Berlin,
sie konnte als die Meinung der „Konkurrenz"
angesehen und bezeichnet werden. In kraftvoller
Tat wurde sie durch eine Reihe nennenswerter
Leistungen widerlegt, so durch die Eröffnung des
Prinzregententheaters, die AusstellungMünchen
1908 mit der Eröffnung des Ausstellungsparkes,
die Gründung des Künstlertheaters, die Kon-
stituierung des Deutschen YS erkbundes in Mün-
chen, die Mozart-Festspiele, die Bayerische Ge-
werbeschau 1912, dieKonsolidierungdes Münch-
ner Kunstgewerbes durch die Tätigkeit des
Münchner Bundes, den Zusammenschluß der
Neuen Sezession, die Eröffnung der Neuen
Staatsgalerie, die Berufung W ölfflins, die Re-
organisation der Kunstgewerbeschule durch
Riemerschmid und nicht zuletzt durch die Ver-
jüngung der Akademie-Lehrerschaft durch
Angehörige der jungen, fortschrittlichen Ge-
neration.

Heute sieht sich der Fall anders an. Man kann
den erwähnten bedeutenden Leistungen der Ge-
samtheit in den ersten i4 Jahren des 20. Jahr-
hunderts nichts Gleichwertiges an die Seite stel-
len. Und die bedenklichen und sorgenvollen
Einwände gegen den gegenwärtigen Zustand
kommen heule aus dem eigenen Lager. Man
bedarf gar nicht der YS arner von außen — man
sieht es jetzt auch schon „intra muros" ein, daß
„etwas geschehen" müsse.

Die Sache liegt so : München hat durch die Re-
volution und durch nachfolgende politische Um-
triebe von links und rechts, die gerade in dieser
unpolitischen, beharrlichen Stadt verheerend
wirken mußten, ungemein viel verloren. In Mün-
chens Kulturpolitik ist eine Unklarheit, ein
Schwanken gekommen, aus denen es keine Ret-
tung zu geben scheint, denn es fehlt die starke
Hand einer überlegenen, besonnenen, zum
Rechten führenden Persönlichkeit, es fehlt der
autoritative Wille, den z. B. Ludwig der Erste

besaß und bekundete, als er München zur Kunst-
stadt machte. Was heute geschieht, geschieht
nicht unter einheitlichem Gesichtspunkt, son-
dern jede maßgebende Behörde geht, unabhängig
von der andern, ihren eigenen Weg. Die General-
intendanz der Theater und der Musik kümmert
sich nicht um die Maßnahmen, die etwa der
Ministerialreferent des Kunstwesens trifft. Die
städtische Kunstpflege, ein lächerlich armseliges
Beginnenfür ein Gemein wesen, dessen Stadtväter
so gerne und wohlgefälligmit sattem Genießerbe-
hagen von „unserer Kunststadt" und von „unse-
ren Künstlern" sprechen, ist völlig desorientiert
und hilflos. Eine gemeinsame Veranstaltung
aller Kräfte wie sie z. B. die schwäbische Haupt-
stadt mit ihrem „Stuttgarter Kunstsommer"
im sinnvollen Zusammenwirken aller Faktoren
erreicht, ist inMünchen heute undenkbar. Es tritt
die schwere wirtschaftliche Lage hinzu. Die Ber-
liner Zentralisation der Behörden hat Münchens
politische Geltung vermindert, ihm aber auch
wirtschaftlich geschadet. Um den sehr kunst-
freundlichen königlichen Hof gruppierten sich
einst eifrige Mäzene: sie sind mit dem Hof ver-
schwunden: andere, die sich um der Hofgunst
willen den Kunstdingen zuwandten, haben jetzt,
da es keine Ehren mehr einzuheimsen gibt, ihr
Interesse an der Kunst verloren. Die Stadt selbst
ist nicht reich, der bayerische Staat noch weniger.
V ordringliche Pflichten der sozialen Fürsorge
bestehen — gewiß, aber es ist nicht richtig, sie
immer dann vorzuschieben, immer dann von
ihnen zu sprechen, wenn Forderungen für künst-
lerische Zwecke erhoben werden. Soziale Für-
sorge und Kunstpflege dürfen sich nicht im
Wege stehen: sie haben im Grunde so wenig
mitsammen zu tun als etwa Belange des Wasser-
baus und Angelegenheiten der Volksbildung.
Aber man glaubt in München, der privilegierten
Kunststadt, die diese Bezeichnung allezeit gerne
als Aushängeschild gebraucht, für die Kunst-
pflege brauche man nur dann Mittel aufzu-
wenden, wenn für alles Übrige längst gesorgt
ist. Man steht in dieser „Kunststadt" immer
noch auf dem Standpunkt, Kunst sei ein Luxus,
und wie Für einen Luxusartikel, sei erst ganz
zuletzt, ganz nach allem andern, für die Kunst
Kapital flüssig zu machen, und dazu sei nicht

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