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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 42.1926-1927

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Hammer, H.: Albin Egger-Lienz
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iLBIN EGGER-LIENZ f

Am 4. November ist in St. Justina bei Bozen
Albin Egger-Lienz im Alter von 58 Jahren ge-
storben. In ihm betrauert nicht bloß Tirol seinen
gefeiertsten Künstler, sondern die ganze deutsche
Kunstwelt eine ihrer eigenartigsten Gestalten.
Egger-Lienz wurde am 29. Jänner 1868 zu Strie-
bach im Pustertal, ganz nahe bei Defreggers Ge-
burtsort Dölsach, geboren. Früh zeigte sich seine
künstlerische Begabung, vom Vater, der Kirchen-
maler war, als erstem Lehrer gehütet und genährt.
1884 kam Albin auf die Münchner Akademie,
wo Baupp, Hackl und später Lindenschmit seine
Lehrer wurden. Seit 1895 lebte er in München
als selbständiger Künstler, 1899 übersiedelte er
nach Wien. Dort wurde er 1910 zum Professor
der Akademie vorgeschlagen, doch verhinderte
der Thronfolger Franz Ferdinand im letzten
Augenblick die Ernennung. Gekränkt verließ der
Künstler Wien, um sich in Tirol ein eigenes Heim
zu suchen. Nach kurzem Aufenthalt in Hall i. T.
folgte er 1912 einem Rufe an die Hochschule für
bildende Kunst in Weimar, legte aber trotz größter
Lehrerfolge schon im Sommer 1913? von un-
widerstehlicher Sehnsucht nach seinem heimat-
lichen Gebirgslande fortgerissen, die Stelle nieder
und zog sich in die gesegnete Gegend von Bozen
zurück, wo er seitdem, rastlos schaffend, lebte.
Als er dann durch die Losreißung Südtirols ita-
lienischer Lntertan wurde, fehlte es nicht an Er-
folgen und Ehrungen, mit denen Italien den be-
rühmten Künstler an sich zu ziehen suchte: auf
Ausstellungen in Venedig (1922) und Mailand
(1924) hatte er große Erfolge und eine überaus
günstige Presse, sein Selbstporträt wurde in die
Galerie berühmter Maler in den Lffizien aufge-
nommen. Doch haben die neuen Grenzen den
in seinem innersten Wesen deutschen Künstler
nicht von diesem wahren Mutterboden seiner
Kunst zu trennen vermocht. In großen Ausstel-
lungen haben in letzter Zeit Wien (1925) und
München den großen Tiroler vorgeführt. Eine
neuerliche Berufung an die W iener Akademie
scheiterte, obwohl schon nahezu perfekt gewor-
den, schließlich an kleinlichen Schwierigkeiten.
Die schönste Ehrung ließ ihm aber die Heimat-
stadt Lienz zuteil werden, indem sie ihm im Jahre
1925 die Ausschmückung der von denGemeinden
Osttirols gemeinsam erbauten Kriegergedächtnis-
kapelle daselbst übertrug: die monumentalen
Fresken in ihrem Innern sollten sein Abschied
von der Kunst werden.

Das Schaffen Eggers hat sich von allem Anfang

und mit großer Beharrlichkeit dem Leben und
der Vergangenheit seiner Heimat zugewendet:
stofflich ist es so durch eine gewisse Enge, geistig
durch eine ungewöhnliche Vertiefung ausgezeich-
net. Es gibt eine Anzahl hervorragender Land-
schaften und Bildnisse von ihm: alles übrige sind
Bauernbilder, — allerdings Bauernbilder im
weitesten und höchsten Sinne. Mitten in der all-
gemeinen Aliwendung von Historie und Genre,
die der Impressionismus brachte, hat Egger das
tirolische Geschichts- und Sittenbild mit einem
ganz neuen Leben erfüllt und zu höchsten Werten
emporgetragen. Anfangs gibt er, an Defregger
anknüpfend, noch mehr das bestimmte Einzel-
ereignis (Ave 1896, Kreuz 1901, Nach dem Frie-
densschluß 1902), die genrehafte Einzelsituation
(Dorfpfeifer 1886). Dann aber weitet sich ihm
das Kriegsbild immer mehr zum gedankenvollen
Sinnbild einer Zeitstimmung (Totentanz 1908,
Haspinger 1909), das Genre zur fast religiösen
Verklärung des Bauernlebens in seinem tieferen,
inneren Gehalt (Säemann 1902, Wallfahrer 1905,
Vorfrühling 1905, Bergmäher, Mittagessen 1908
u. a.). Hinter dem Bauernleben erscheint ihm
immer mehr das Menschendasein überhaupt in
seiner schicksalhaften Gebundenheit, seinen un-
entrinnbaren Gesetzen (Leben 1912, Erde 1913,
Der Mensch 1914). Der malerisch-impressioni-
stische Bealismus seiner Frühwerke wandelt sich
dabei in zunehmender Stilisierung zur linearen
Großmalerei. Mit den Mitteln breiter, liedhafter
Bildrhythmik hat Egger auch Ausdruck für den
Weltkrieg gesucht (Den Namenlosen 1916, Missa
eroica 1917, Finale 1918). Die letzten Großbilder
seit Kriegsende (Generationen 1919, Mütter 1922,
Auferstehung 1924) durchzieht in nochmaligem
innerem Ümbau eine tief kontemplative und fast
visionäre Stimmung, für die er sich wieder einer
mehr malerischen Licht- und Raumstimmung,
fast in der Art des späten Bembrandt, zugewendet
hat. Bis zuletzt aber dienen ihm als Ausdruck für
all diesen reichen Gehalt die ins Große gesteiger-
ten Typen seiner Heimat, deren Leben ihm zum
Weltbild geworden ist. In dieser weitausschauen-
den Gedanklichkeit bei stärkster Schollengebun-
denheit, dieser höchsten Intensität auf engstem
stofflichem Raum liegt die eigenartige, völlig
naturhafte Kraft dieses Genius, in dem Stammesart
sich in monumentaler Weise manifestiert. Seine
sterblichen Reste sind zu Lienz bestattet worden;
es war sein Wunsch, so zur Scholle zurückzu-
kehren, der er einst entstiegen. H. Hammer

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