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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 42.1926-1927

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Rodin, Auguste: Ein Brief Rodins
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Picasso, Pablo: Picasso über die Entwicklung der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14162#0309

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EIN BRIEF RODINS

. . . Wie die Natur sind Michelangelo, Beetho-
ven, diese großen W ohltäter der Menschheit,
Besitz von denen, die mit ihnen arbeiten wol-
len. YY ir gehorchen ihnen, und sie geben uns
das Verständnis für die Größe unserer eigenen
Natur. Gleich dem V ogel im Nest werden wir
von diesen Halbgöttern gehütet und angefeuert,
bis unser Herz sich aus eigner Kraft empor-
schwingt, um dann wie die Flamme in ewigem,
erwachtem Drang sich nie mehr genügen zu
lassen. Der Mensch altert voller Erfahrungen
und wird auch weise, sein Herz ist aber noch
frei geblieben. Er träumt und denkt an das
Nest, aber nur um sich neu aufzuschwingen und
wie ein feuriger Adler bis zu Gott selber vor-
zudringen.

Ich liebe diese große Kunst des Lebens, die man
Zuneigung nennt. Die, welche sich fürchten, sie
zu schenken, sind immer arm, aber die, welche
in der Liebe stehn, sind vom Glanz umstrahlt.
Das Leben ist gewaltig und glorreich und uns
nah. Der Himmel ist versteckt und überläßt
uns nur die Sehnsucht. Ehe wir ihn besitzen,

müssen wir seiner würdig werden durch das Be-
greifen des Lebens ... Welches Glück für mich,
daß ich manchmal durch den Schatten der gött-
lichen Gedanken ziehen darf, denn ich bin sein
Weg, durch den Instinkt, den er mir gegeben
und den ich entwickeln muß. Die einen durch
die Lust, andre durch den Schmerz, viele durch
beide, gehn wir alle zu ihm. Wir sind sein
Werk, wir sind seine Kraft, wir sind seine Viel-
gestaltigkeit. Die Gefühlsarmen mögen ihr Le-
ben nach Interessen aufbauen, es ist wohl nötig,
aber die, weichereich an inneren Gütern sind, sol-
len hier schon im Himmel leben, wenn auch im
irdischen Kreis. Man sage nicht, daß einige hier
bestraft werden sollen. Die Sorgen treffen uns
nach jedem unserer Fehltritte. Das ist genug.
Alles ist bezahlt. Es gibt Unschuldige, das sind
die Bannerträger des Universums, und die Jahr-
hunderte bewundern sie und wandeln sich nach
ihnen. Sie sind unser Stolz ... Möge mein Geist
nie der Trockenheit verfallen und immer von
Dichtung und Erinnerung genährt werden, bis
zu meinem letzten Augenblick . . .

(Aus den „Künstlerbriefen", Verlag W. Jess, Dresden)

PICASSO ÜBER DIE ENTWICKLUNG DER KUNST

Ich staune über die mißbräuchliche V erwendung,
die man dem Worte „Entwicklung" angedeihen
läßt. Ich entwickle mich nicht, ich bin. Es gibt
in der Kunst weder Vergangenheit nochZukunft.
Die Kunst der Griechen oder der Ägypter ist
nicht Vergangenheit; sie ist heute lebendiger
als je. Veränderung bedeutet nicht Entwicklung.
Wenn einKünstlerseine Ausdrucksweise ändert,
so heißt das, daß er sich in seiner Denkweise ge-
wandelt hat — was einem Menschen, selbst einem
Künstler, stets erlaubt ist.

Ich habe immer für meine Zeit gemalt. Ich habe
mich nie mit Sucherei belastet. Was ich sehe,
stelle ich dar, manchmal in der, manchmal in
jener Form. Ich grüble weder, noch experimen-
tiere ich. Wenn ich etwas zu sagen habe, sage ich
es so, wie ich es glaube, tun zu müssen. Es gibt
keine Übergangskunst. Es gibt nur gute oder
weniger gute Künstler.

Wenn uns ein Neugieriger, ein Journalist oder
ein Kunstliebhaber besucht, erwartet er, wir
müßten von vorgefaßten Gedanken und Defini-

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