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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 42.1926-1927

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Schürer, Oskar: Neue Werke von Karl Albiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.14162#0166

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heit aus in harte Askese. „Sebastian" ist heutiges
Schlußglied jener Reihe, die einerseits im „Gio-
vanetto" ihren Prototyp gefunden hatte, anderer-
seits in dekorativen Formen der Architektur-
plastik Bindung und harte Fügung suchte. Ge-
danke des Dienstes wurzelt in der Not des In-
Sich-Verschlossen-Seins, symbolisiert sich dem
Bildhauer in der Eingliederung seiner Kunst in
die mütterliche der Architektur. Opfer — dar-
gestellt im „Sebastian" —ist reife Lösung sol-
chen Zwangs. — Und die warme Lebensnahe
bricht aus in den quellenden Wuchs satter Le-
bensfülle,steigert sich in die Vorstellungkernigen
Weibtums, staut sich in der süßen Reife voll
erblühten Frauenleibs. Aber wie in jenen Hang
zur Bindung der Elan zum Dekorativen wie ein
Strahl aus der lebenstrotzenden Welt herüber-
brach, so hier umgekehrt in das Lebensvolle
ein plötzlicher Schatten aus jenem Reich des
Opfers. Vor letztem Ausbruch bewahrt all diese
erdkräftigen Gestalten ein plötzlich aufsteigen-
der heimlicher Schmerz. Leib bleibt „Torso"
oder Eva wird „aufsteigende Nacbt". Ahnung
des Untergangs gibt diesen Träumen Innerlich-
keit bis zur Schwere, holt sie zurück ins Atmen
tieferer Zucht, zirkt sie doch wieder ein in dies
webende Spiel von Aulruhr und Entsagung, das
dieser hohen Kunst innerster Nerv ist.
Wir rühren an eine Polarität, die dieses Wesen
von den heimlichsten erotischen Sphären bis
hinauf in die geistigsten durchzieht. Verschwie-
gener Wollust des Körperlichen, die in diesem
Wesen treibt — wo wäre sie nicht Lrstoff Für
die Gedanken des Bildners! — solcher Wollust
entgegnet die tiefe Trauer alles Krealürlichen.
Und dem Ausbruch des Geisligen, einem ver-
haltenen Fanatismus bis zum Paradox, entgeg-
net die klare logische Zucht, eine Bewußtheit
der liier wirkenden Kräfte, die nur in solcher
Balance inneres Maß zu werden vermag.
Damit scheint das innerste Geheimnis dieses
Schaffens gespürt. Und es gebietet sich, in kon-
ventionellere Bahnen der Kunstbetrachtung zu-
rückzubiegen, um seinen Sinn nicht durch
Grobheit des Wortes zu verletzen. Man hat in
Albiker den nordischen Dynamiker gesehen,
der zu klassischer Statik hinsucht. Als Formel
stimmt das, aber eben als Formel tötet es auch
das Eigentliche dieses Charakters. Schon das so
postulierte Nacheinander ist falsch, noch mehr
die dies konstituierenden Komponenten. We-
sentlich hier ist die Schwebe, in der dies ^Vesen
gehalten wird von einer urtümlich treibenden,

nach Ausbrüchen lüsternen Kraft und von einer
durch blutstiefe Tradition gegründeten Zucht.
In der warmen Nähe menschlicher Verhältnisse,
wie der Bildner sie im Porträt gestaltet, balan-
ciert sich das Gegeneinander aus. Im freien
Wuchs der \\ esen treibt es aneinander empor,
monumentalisiert sich in der weiten Schwingung
eines wartenden Gefühls, und erst wo das ausge-
kämpfte Drama der Leidenschaften die Form
schon bereitet hat fürs zuchtvolle Maß, da fließt
Erinnerung an klassische Formwelten ein in
dieses Bilden. Pallas Athene ersteht als klarste
Geste des inneren Sieges.

Aus diesem V\ esen des Künstlers heraus ver-
stehen wir nun, in welche Formproblematik er
gestellt war. Leben soll in die Form eingehen.
Leben aber zeigt sich nur in der Bewegung.
Wie geht Bewegung in die plastische Form
ein? An diesem Problem wächstAlbikers Kunst
empor.

Die Zeit seiner Anfänge sah die Pole bildhaue-
rischen Schaffens in Hildebrandt und Rodin.
Sein Wesen machte die Entscheidung eindeu-
tig: er lernte bei Rodin, später bei Bourdelle —
und noch heute wahrt er dem Meister die Ver-
ehrung, allerdings jenem Schöpfer der Balzak-
statue, nicht dem späteren „Maler in Stein".
Bewegung als plastische Form drückt sich aus
in Schichtung und Lagerung der Massen und
statischen Gewichte. So versinnbildlicht sich die
motorische Kraft in der Dauer der Skulptur.
^ ir spüren die Heraufbildung dieses Problems
in den heutigen Zielpunkten. In der Porträt-
büste die wache Latenz der Bewegungsenergien,
die vom gleitenden Spiel der Lichter akzentuiert,
vom Stoßen und Schwinden der Konture inner-
viert wird. In den Bildnissen das leis gespannte
Gegeneinander mannigfacher Beweguugsakzen-
te, ihre Füllung mit kubischen Werten, oder
jene verhaltene Stauung motorischer Antriebe,
die der kleinste Anstoß zur Entladung bringen
möchte. In den Gestalten das zarte Spiel des
Vor und Zurück, die leisen Verschiebungen der
Achsen, der nur leis anklingende aber so tiefe
Sinn einer Beinüberhöbung oder das Trichter-
förmige des durch den Gestos geschaffenen
Gestaltraums. Sehr klar dann im „Sebastian"
das Gegeneinander der beiden führenden Kur-
ven, der Körperkurve des Hängenden und der
Gegenkurve des Pfahls.

Schwerer als diese „funktionale" Bewegung ist
die „psychische" im\\ ort zu packen. Und doch
ist sie das Ausschlaggebende in dieser Kunst.

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