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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 42.1926-1927

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Weiss, Konrad: Emil Nolde als Graphiker: ausgestellt im graphischen Kabinett, München
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https://doi.org/10.11588/diglit.14162#0253

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tätig Erlebenden offenbaren wollen. Nolde bat
eine natürliche organische Primitivität, es sind
bei ihm Formen zustande gekommen wie die
Schrift von Runen, zurückgebracht auf die ein-
fache unmittelbare Wirkungsweise der Natur-
gebilde. Es ist bei ihm ein Sinn für Chaos (das
Wort, das man heute oft fälschlich braucht)
vorhanden, und dieser Sinn trifft bei ihm ander-
seits wieder mit einer merkwürdigen einfachen
Klarheit zusammen. Die starke Farbe seiner
Gemälde, wie besonders auch die graphische
Technik entsteht in diesem Kampf und Sinn
zwischen chaotischer Aufhebung und ordnender
Niederschrift. Man erkennt schon daran ein be-
stimmtes deutsches, nordisches W esen. Und nun
den weiteren Sinn für die geistige Mitschöpfer-
kraft des Lichtes hinzugenommen, ersieht man
einen sehr bestimmten nordisch-deutschen rassi-
schen Kunstcharakter, welcher durch Emil
Nolde heute mit einer Konsequenz vertreten
wird, welche wie man sagen darf, die Nach-
teile und ebenso die deutbaren und klar sich
einprägenden Vorteile einer Einseitigkeit an
sich hat; einer Einseiligkeit, die auf jeden Fall
eine große und ganz ihm eigene künstlerische
Stärke ist.

Nolde ist übrigens schon seinem Alter nach, ein
1867 geborener Nordschleswiger, nach weiten
Reisen immer wieder in seiner Heimat tälig,
ein Pionier seines eigenen künstlerischen Weges.
Er gehört, wenn auch kurze Zeit äußerlich zur
„Brücke" gehörig, nicht in die enge Front der
neuen Kunst, welche übrigens heute nicht mehr
viele gemeinsame Bedeutung hat, während die
wenigen einzelnen von Bedeutung jetzt allein
heraustreten. Und unter diesen steht Nolde als
freie Persönlichkeit. Nolde ist allerdings nicht
bloß künstlerischer Eigencharakter, nicht bloß
entsprechend seinem Alter ein Mittelsmann
nach rückwärts, sondern wie man in Zukunft
wohl noch mehr sehen wird, in manchem Zuge
seiner Erlebnisart deutlich ein Herkommender
aus einer Generation, die mit Namen wie Klinger
oder Böcklin bezeichnet wird. Aber in diesem,
übrigens durch seine nordische Eigenart sehr
verdeckten Zusammenhang liegt das Beschrän-
kende. Dagegen in seiner naturverbundenen
Herkunft, in Heimat und Bauerntum, woher er
aufbricht, und in der Einsamkeit eines tief in
sich hinein erlebenden Willens und Gestalt-
suchens, nicht zuletzt im Bedürfnis nach Inhalt,
fortgetrieben wiederum durch nordische Unbe-
dingtheit, liegt das Ausweitende.

Gerade der Inhalt, jene geistige Sinnerfüllung
der Formen von den alten Stoffen her, ein
gemeinsam in Figur und Entfigurisierung ge-
suchtes Linewerden neuer Erlebungen, ver-
wesentlicht in einem schweren nordischen und
doch wieder zu formal leichter Handlung auf-
gerafften Gemüt, darin liegt eine weite und
teilweise unerhörte Blut- und Farbwahrheit,
heutiger geistiger Bekümmerung. Vom Bauern-
tümlichen bis zum christlich Religiösen, ja in
manchen Bildern fast bis zum theologisch The-
matischen, ein solches Durchs! oßen des ein-
zelnen durch künstlerisch beruhigle Konven-
tionen, das selbständig in die Anfänge der
neuen Kunst gehört, ist nicht gleichgültig. Es
ist ein Bekenn!nis in der Zeit und über die
Zeit hinweg. Gegenüber all den sozialen oder
sonst begrifflichen Verkleinerungen rührt sich
in einem Einzelnen das Ewige im Daseins-
grunde. Nolde drückt dieses Bekenntnis aus
in der scheinbaren Vorausset zungslosigkeit
und Y\ illkürlichkeit seiner Werke. Aber das
Geisternde, mit harter schwerer Farbe erd-
nahe Gemachte darin ist wirklicher als die
vielen kleineren Wirklichkeiten, an denen sich
die Kunst heute vielfach festhalten und auf-
richten zu können glaubt.

Man darf diese weitere Einstellung voraus-
schicken, um auch für das graphische Schaffen
Noldes anzugeben, in welcher größeren Welt
der Sinne und des Geistigen ihre sonst viel-
leicht sprunghaft scheinende Abseitigkeit ihren
Nährboden hat. Vom Bäuerlichen bis zum
Märchenhaften, Exotischen oder Biblischen,
vom Landschaftlichen bis zum Gesellschaft-
lichen oder Grotesken oder zur literarisch
modischen Atmosphäre, alles ruht bei Nolde
doch letztlich auf dem Grunde einer bestimm-
ten Natur oder wendet sich immer wieder dahin
zurück. Gerade auch das Technische, so frei
und spielend in Flecken und Umrissen es manch-
mal aussieht, ist Für Nolde ein natürlicher Grund
und Ursprung, aus dem heraus sich die Wir-
kung wie eingesenkt oder ausgegraben erhebt.
Die Technik ist bei ihm so wenig zu einer ein-
sinnig gehandhabten Formel geworden, daß sie
bei Lithographie, Holzschnilt oder Radierung
immer eine ganz verschiedene Bildwirkung er-
bringt. Nolde hat gerade hier gegenüber den
landläufigen graphischen Begriffen eine ganz
besondere Bedeutung. Oft ist die Technik, be-

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