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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 42.1926-1927

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Jähnig, Karl Wilhelm: C. D. Friedrichs früheste Bilder "Sommer" und "Winter"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14162#0284

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C. D. FRIEDRICHS FRÜHESTE RILDER
„SOMMER" UND „WINTER"

Die beiden liier abgebildeten Landschaften
Friedrichs sind von besonderer Bedeutung für
das Werden seiner Kunst. Sie entstanden 1808
als die ersten größeren Ölbilder des Künstlers,
der sich bis dahin nur der Sepialechuik bedient
hatte. Seitdem Goethe im Jahre 1803 zwei Se-
piablättern des Dresdners einen Preis erteilt
und einelobende Kritik dieser beiden Blälterver-
öffentlicht hatte, war Friedrichs Name weitüber
Dresden hinaus rühmlich bekannt geworden.
Bald schon sah eine kleine Schar feinfühlender
und ahnender Kunstfreunden! Friedrich den Re-
formator der Landschaflskunst, und im beson-
deren sahen sie in ihm den schöpferischen Ge-
staller nordischer Vorstellungswelt und nordi-
schen Xalurgefühls; man verglich ihn mit Jean
Paul, mit Young, man nannte ihn einen „christ-
lichen Ossian der Malerei". Als 1808 bekannt
wurde, daß,, Friedrich jetzt auch in Ol male",teilte
dies sogar die Wiener romantische Zeitschrift
„Prometheus" als bedeutungsvolles Ereignis mit:
„Herr Friedrich, den man bisher nur aus seinen
originellen Stücken in Sepia kennt, wird dies-
mal die ersten Ölgemälde aufstellen." Gemeint
waren damit eben unsere beiden Landschaften.
Einen sehr ausführlichen Bericht über diese
neuen Werke Friedrichs veröffentlichte Semra-
ler bereits im Märzheft des „Journal des Lu-
xus": „Jetzt beschäftigt ihn der doppelle Cyclus
der Jahreszeiten und Lehensalter. Er wird ihn
in vier Landschaften ausdrücken. Doch kann
ich Ihnen von diesen, da sie zwar gezeichnet,
aber noch nicht alle in Farben ausgeführt sind,
nur wenig sagen." Es folgt dann eine kurze Be-
schreibungder erst angelegten \\ interlundschaft
und eine ausführliche Würdigung der bereits
vollendeten „Sommerlandschafl".
Die Sommerlandschaft mit dem Liebespaar,
Friedrichs Paslorale, übertrifft um ein bedeu-
tendes die zeitgenössischen Leistungen, die Ve-
duten und Kulissenszenerien, in dem Gefühl für
die befreiende Weite des Raumes, in der orga-
nischen Gestaltung des sich hebenden und sen-
kenden Geländes, im Rhythmus und der Me-
lodie der Linienführung und in der Zartheit der
farbigen Ubergänge. Doch verraten manche
Spuren das Erstlingswerk: die Komposition ist

vergleichsweise locker und ohne Spannung, und
das Malwerk ist noch zaghaft und vorsichtig:
noch vermeidet die aquarellhaft dünn aufge-
tragene Farbe kräftige und starke Klänge. Im
Winterbild, das noch in demselben Jahre voll-
endet worden ist, handhabt Friedrich sicher das
neue Mittel. Von besonderer Kühnheit, ohne
Vorbild, das kalte Stahlblau des undurchdring-
lichen Winterdunstes, der schwer über den
Schneefeldern lastet. Kühner noch,— nachdem
Jahrhundert der Geselligkeit — der Mut zur
unerbittlichen Darstellung der Ode und der er-
schreckenden Einsamkeit, des ^ erfallens und
Erstarrens. Seit Ruysdaels Judenkirchhof die
erste tragische Landschaft. Dies Bild ist die
Keimzelle einer ganzen Gruppe von Winter-
landschaften, deren wichtigste das „Mönchsbe-
gräbnis" im Berliner Schloß und die spätere
Fassung desßildes in der Nationalgaleriesind.
Die beiden Bilder sind die VorbotenjenerSchöp-
fungen Friedrichs, in denen das innerste We-
sen der Romantik, das Streben nach dem Un-
endlichen, seine großartigste Form findet: noch
in demselben Jahre 1808 entsteht das „Kreuz
auf dem Berge", bald danach schon der „Mönch
am Meer" und das große „Riesengebirge", die
wahrhaft faustischen Werke jener Zeit.
Wir wissen nicht, ob Friedrich auch die beiden
andern Bilder dieses Zyklus, der bereits 1807
in vier Sepiablältern vorlag, vollendet hat. Das
Thema, die Verbindung von Jahres- und Tages-
zeiten mit den Stationen des Lebens, das Ge-
meinsame des Schicksalhaften im Natur- und
Menschenleben, beschäftigte ihn schon längere
Zeit und hat ihn noch lange beschäftigt; 1810
und in den folgenden Jahren hören wir wieder
von einer Fassung dieses Themas in vierBlättern;
1826 stellt er einen Zyklus von sieben Kompo-
sitionen in Sepia aus (es sind wohl die Blätter
in Hamburg), und das Bild bei Frau Siemssen
in Greifswald entstammt demselben Gedanken-
kreis.

Seit Runges „Tageszeiten" von ] 803 hat sich
mancher Dresdner Künstler um diesen Stoff
bemüht; aber nur Friedrich gelangte über die
Allegorie hinaus zur anschaulichen Schöpfung
der „Erdlebenbildkunst". Jähnig

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