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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 2
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Lessing, Waldemar: Münchener Malerei um 1800: Ausstellung der Galerie Heinemann
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0082

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WILHELM VON KOBELL, BILDNIS DES SEBASTIAN KOBELL

AUSGESTELLT IN DER GALERIE HEINEMANN, MÜNCHEN

Kunst in einem kritischen Zustand der Erschöpfung. Das
Rokoko hatte eine unerschöpfliche Fülle der Pracht über
Schlösser, Kirchen und Klöster ergossen. Architekten, Bild-
hauer, Deckenmaler, Meister der Kleinplastik des Porzellans,
hatten Bayern in glücklichster Weise mit dem Wesen des
Rokoko durchdrungen. Doch schon unter der Regierung
Max III. Josef hatte der Rationalismus und die Verbürger-
lichung des Lebens der höfischen und kirchlichen Kunst
den Boden unter den Füßen wegzugraben begonnen und auf
dem Gebiete der neuzeitlichen Anforderungen entsprechenden,
profanen Tafelbildmalerei fehlte es an einheimischen Künst-
lern. Da war es ein Glück, daß Karl Theodor aus seinen
rheinischen Residenzen Mannheim und Düsseldorf eine Reihe
von Künstlern mitbrachte, die in seinen herrlichen Galerien
die Augen geschult, in seinen Akademien studiert, in Rom
und Paris die Atmosphäre hoher Kunst geatmet hatten.
Mannheim war ja ein Zentrum von Kunst und Wissenschaft:
Dalberg leitete das Schauspielhaus — Voltaire war ein gern
gesehener Gast in der Sommerresidenz Schwetzingen —
das Hoforchester galt für eines der ersten Europas — Mozart
hatte dort eine Heimstätte gefunden, die ihm in München
von Max III. „mangels Vakatur" versagt worden war — die

Abgußsammlung der Antiken begeisterte Lessing, Herder,
Goethe und Schiller. In Mannheim war das Publikum, das
Schillers Räuber enthusiastisch aufnehmen konnte. Die
bildenden Künste und ihre Vertreter wurden von Karl
Theodor gefördert. Zur Reise nach Rom und Paris er-
hielten die Künstler Stipendien, an den Kunstakademien von
Mannheim und Düsseldorf wurde eifrig studiert und kom-
poniert. Eine große Rolle spielten dabei die kunsttheoreti-
schen italienischen und französischen Bücher und Hagedorns
1762 erschienene „Betrachtungen über die Malerei". Er er-
wartete die Vollendung der Malerei von einem Austausche
italienischen Formensinnes und niederländischen Farben-
sinnes — ein Axiom, das lange Geltung behalten sollte.
Die Meisterwerke der Galerien, vor allem die Niederländer,
wurden für Bilder, Radierungen, Aquatinta-Blätter Vorbild.
Aber auch die lieblichen Gegenden am Rhein, Main und
Neckar waren beliebte Motive für pfälzische Künstler, wie
Ferdinand Kobell, den Vater Wilhelms von Kobell.

Aus dem nahen, mit Mannheim durch die Verwandt-
schaft der Fürstenhäuser eng verbundenen, Zweibrücken
kamen Künstler wie Ghristian von Mannlich nach München.
Er ist ein typischer Vertreter der in Zweibrücken gepflegten
Kunst. In Paris hatte er bei Boucher gearbeitet, in Rom
nach Raffael in der Farnesina kopiert und als „Maler und
Hofmann" den höfischen Kunstgeschmack sich zu eigen ge-
macht. Es ist nötig, sich zu vergegenwärtigen, was dieser
Zustrom an geistiger und künstlerischer Kraft für München
bedeutete. Dort hatte das künstlerische Leben zu stagnieren
begonnen. An der Zeichnungsschule, alias Akademie, lehrten
holländisierende Eklektiker wie der ältere Dorner und der
Spätling des Rokoko, Oefele. Nur Edlinger war ein persön-
licher, temperamentvoller Künstler mit starkem koloristi-
schem Talent, das seinen Werken bisweilen eine Ähnlichkeit
mit denen der großen englischen Porträtisten verleiht. Ed-
linger war eine durchaus bürgerliche Natur, und es ist für den
Wandel des Geschmackes zur Zeit Karl Theodors bezeich-
nend, daß er Hofmaler werden und die Erbschaft des aristo-
kratischen Schweden Desmarees antreten konnte. Eine be-
freiende Tat für dieses München war es, daß der Kurfürst
1781 am Hofgarten aus der Münchener und Schleißheimer
kurfürstlichen Sammlung die Galerie zusammenstellen und
dem Publikum und den Künstlern zugänglich machen ließ.
Allerdings wollte man davon an der Akademie nicht viel
wissen, „große hohe Kunst" sollte dort gelehrt werden.
Daneben spielte die Landschaftsmalerei nur eine nebensäch-
liche Rolle.

Die Ausstellung bot ein Bild dieser verschiedenartigen,
von außen nach München einströmenden Kunst- und Ge-
schmacksrichtungen. Die Vorliebe für die Niederländer macht
sich neben der hohen Schätzung geltend, in der noch Poussins
und Claude Lorrains Klassizismus steht. Einheimische und
französische Barocktradition — Boucher — mischt sich mit
der Begeisterung für Raffael und die Antike. Bilder sollen
tektonisch nach strengen ästhetischen Theorien, die Natur
meisternd, gebaut sein und wieder schwärmt man für die
unverfälschte Natur, die man auf dem Umwege über eng-
lische und französische Romane kennen gelernt hat. Ein
verwirrendes Bild, hervorgerufen durch die beginnende In-
dividualisierung der Kunstformen und Künstlerpersönlich-

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