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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 2
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Lessing, Waldemar: Münchener Malerei um 1800: Ausstellung der Galerie Heinemann
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0084

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Gegen die Jahr-
hundertwende er-
blüht die Münchener
Landschaftsmalerei.
Auf ihr lag daherauch
mit Recht der Haupt-
akzent der Ausstel-
lung. Ein anderer
wunderbarer Sproß
deutschen Wesens ist
ihr Altersgenosse: die
Romantik. Die Raum-
weite, die Auflösung
in Atmosphäre, die
Ferne des Horizontes,
die Abwendung vom
kleinen Format des
Kabinettstückes Ele-
mente wie sie Peter
Heß' Chiemseeland-
schaft und Wilhelm
v. Kobells Ubergabe
von Brieg zeigen —
lassen uns fühlen, daß
hier die Ideen der Ro-
mantiker ihren Ein-
fluß haben. Roman
tische Elemente zei-
gen sich noch stärker
in der von der Jahr-
hundertausstellung
bekannten „Belage-
rung von Kosel ' von
Wilhelm von Kobell.
Die Verschleierung
des menschlichen Ge-
schehens, das Untertauchen der Kampfepisoden in die Land-
schaft, mit einem minimalen Grade von Schaubarkeit der Figu-
ren, sind stärker als der anthropozentrisch zugespitzte Aus-
druck des Kampfes einer Kraft gegen die andere. Vorder-
grundsfiguren werden zu Trägern unserer subjektiven Emp-
findung, aber diesen Figuren fehlt die optische Synthese mit
dem Ganzen. Gerade dies „harte Aufsitzen der Figuren auf
dem Grunde" verrät, daß nicht der „ganze Inhalt der Sichtbar-
keit" der malerischen Erscheinung unterworfen ist. Ein auf
die Erscheinung eingestelltes Auge kann nicht die Landschaft
aufgelöst sehen und gleichzeitig die Schärfe einzelner um-
rissener Formen erfassen. Kobell stand zu sehr unter dem
Zwange derTradition einerseits und des linearen Zeitstils ande-
rerseits, um die optische Synthese von Landschaft und Figur
im Sinne des konsequenten Impressionismus zu finden. Nur
in kleinen Landschaftsausschnitten, die kaum auf bildmäßige
Wirkung berechnet waren, zum Beispiel einer Seelandschaft
mit Schafen, in Aquarellen, in Zeichnungen macht sich der
Evolutionsprozeß aus der Tradition heraus schon geltend.
Die in Richtung des formauflösenden Sehens auch für Fi-
guren gemachten Naturbeobachtungen, wie sie einige Zeich-
nungen aufweisen, hat er dekorativ-bildmäßig nicht auszu-
nutzen vermocht. Auf seinen Gemälden treten die klassi-

GEORG DILLIS, HERRENBILDNIS

AUSGESTELLT IN DER GA1 EBIE IIEINEMANN. MÜNCHEN

zistisch-linear gesehe-
nen Figuren oft sil-
houettenmäßig aus
den mit der Synopsis
des achtzehnten Jahr-
hunderts aufgefaßten
Landschaften heraus.
Disharmonien, von
denen aber ein eigen-
tümlicher Reiz aus-
gehen kann, wie in
den späteren Bildchen
mit den figurinen-
haften Reitergruppen,
die sich in der Abend-
sonne scharf von der
Seefläche, den wei-
chen Linien der fer-
nen Berge und dem
kristallreinen Himmel
abzeichnen. Eine
etwas preziös stilisier-
te , arkadische Stim-
mung. Impressionisti-
schem Sehen wider-
sprechen derartige
Werke; um so stärker
wirkt die Abstraktion
von dem Augenerleb-
nis auf die reine,
man möchte sagen
begriff liehe Klarheit
der Linie, die hier
in rationalistischer
Schärfe ihren vollen
Ausdruck findet. Auch
kompositionell linden noch bewährte Rezepte bei seinen und
Peter Heß' Landschaften Anwendung: die Raumbreite wird
durch die Wagerechte des vorderen Planes und Horizontes,
die Raumhöhe durch die Vertikale von Bäumen, die Raum-
tiefe durch Repoussoirs jeder Art erreicht. Erst der Plai
nairismus konnte durch dieValeurs allein raümbildend wirken.
Außere formalistische Kritik ist verpachtet, die zeitliche Ge-
bundenheit dieser Kunst nicht zu verschweigen. Ihr innerer
Wert liegt in dem geistigen Gehalt, dem suggestiv auf das
Gemüt wirkenden Ausdruck, der tiefen Bewegung, die die
deutsche Seele in jener Zeit durchschauerte. Vor dem un-
geheuren menschlichen Geschehen fanden die süddeutschen
Romantiker Rettung in der lebensbejahenden Liebe zur hei-
mischen Natur. Nur so konnte die Münchener Landschafts-
malerei eine bodenständige, eigenartige Kunst werden, in
deren Umgebung sich ein Bild Kaspar David Friedrichs wie
ein Fremdkörper ausnehmen würde. Die norddeutschen
Romantiker sahen die Landschaft als ein symbolisches Phä-
nomen an, als die durchsichtige Hülle für etwas Ewiges.
Für sie war es nur ein notwendiges Übel, daß der Maler
sich der körperlichen Darstellung als Mittel bedienen müsse
um den allgemeinen Sinn einer Landschaft zu vermitteln.
Runge sagt: „Wenn wir in der ganzen Natur nur unser Leben

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