Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 53.1902-1903

DOI Artikel:
Ebe, Gustav: Neubildungen im Bereiche der Baugliederungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7001#0086

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Neubildungen im Bereiche der Baugliederungen.

der späteren griechischen Kapitellbildung zeigen die
phönizisch - cyprischen Stelenbekrönungen. Auch das
Korbkapitell ist auf Zypern mehrmals ausgefunden.

Die älteste griechische Säulenform, die der my-
kenischen Periode, die man mit größerem Rechte als
„protodorisch" bezeichnen kann, als die abgekanteten
Felspfeiler zu Beni-Paffan, gibt uns ein bis jetzt
noch nicht gelöstes Rätsel auf. Alle aufgefundenen
Steinsäulen, wie die an den Fassaden der Kuppel-
gräber und im Giebelfeld des Löwenthors zu My-
enae, aber auch die kleinen ehemals zu Möbeln
gehörigen Elfenbeinfäulchen verjüngen sich nach
unten, und wenn, wie anzunehmen ist, die polzsäulen
an den Vorhallen der Paläste zu Tiryns und My-
kenae die Vorbilder der Steinsäulen waren, so müssen
sie ebenfalls nach unten verjüngt gewesen sein. Einer-
seits scheint demnach das frühere Vorkommen der
polzsäule erwiesen und die Ableitung der Steinfäule
aus dem polzbau, auch wegen des schlanken Ver-
hältnisses des Schafts gesichert zu sein, anderseits
weist die ungewöhnliche und dem Wesen eines tragen-
den Baugliedes geradezu widersprechende Verjüngung
des Schafts nach unten auf einen Zusammenhang
mit der frei endigenden Stele hin, die ebenfalls häufig
eine Verjüngung nach unten aufweist. Man wird
an die cyprischen Stelen erinnert und an ein eben-
dort gefundenes Tempelmodell in gebrannten: Thon.
Die öfter erscheinende steglose Kannelierung des
Schafts der mykenischen Säule scheint wieder auf
die von Ägypten her bekannte pseilerabkantung zu
deuten. Die Säulen am sogenannten Schatzhause
Atreus zeigen zwar im Zickzack geführte Streifen,
welche Spiralbänder einschließen und erinnern an
die Metallbekleidung einer polzsäule. Die mykeni-
schen Kapitelle haben unter dem Abakus einen Wulst
und zwei sich dem Schaft anschließende Kehlen. Am
Schatzhause des Atreus ist der Wulst, ähnlich wie
am Schaft, mit Streifen überdeckt und die zur Ver-'
bindung mit dem Schaft dienende Kehle zeigt einen
Kranz aufrechtstehender Blätter. Die Basen der
Palastsäulen von Tiryns bestehen aus einer schwachen
runden Scheibe.

Die schlanke persische Steinsäule steht im engsten
Bezüge zum polzbau und trägt durchweg hölzerne
Balken. Der leicht nach oben verjüngte Schaft hat
eine große Anzahl durch schmale Stege getrennte
Kannelierungen aufzuweisen. Das Eigentümlichste
des persischen Säulenkapitells ist der sattelförmige
Teil unmittelbar unter dem Tragebalken, welcher
an den Enden mit Stier-, Löwen- oder Einhorn-
büsten geziert ist und bei der einfacheren Form un-
vermittelt über dein Schafte ansetzt. Eine andere
komposite Form des Kapitells setzt sich aus mehreren

Teilen zusammen: zunächst über dem Schaft ein
glockenförmiges, darüber ein kelchförmiges Glied, dann
ein Prisma mit doppelten, nach unten und oben
und allen vier Seiten entwickelten Voluten und als
Abschluß die Tierbüsten. Die persische Säulenbasis
erscheint in Form einer runden Scheibe, öfter als
glockenförmiges Glied, welches durch einen Rund-
stab mit dem Schafte verbunden ist. Noch eine
andere Form der Basis setzt sich aus einer vier
eckigen plinthe und an einen: darüber liegenden,
ringförmig kannelierten Wulst zusammen, ähnlich
der ionischen Basis.

Alle oben betrachteten Säulenformen sind nur
Vorstufen der späteren vollendeten Entwickelung und
kommen in ihrer speciellen Ausbildung für die neuere
Kunst kaum noch in Betracht; das eigentliche Problem
für diese liegt in der Aussicht aus mögliche Wieder-
verwendung der klassisch-antiken Säulenordnungen,
ohne zugleich Gefahr zu laufen, in schablonenmäßiges
Nachahmen zu verfallen. ■— Obgleich die Steinsäule
längst ausgebildet war, so sind doch noch in der
historischen Zeit des Griechentums polzsäulen an
Tempeln vorhanden gewesen, wie beispielsweise an
der Peripteralstellung des peraion zu Olympia.
Auch wurde ein fester Kanon für die Steinsäule
nicht sogleich gesunden; es finden sich aus ältester
Zeit achteckige, sechzehneckige und runde unkannelierte
Säulenstämme. Zn konstruktiver pinsicht erfüllt die
griechische Säule durchaus die Bedingungen des
Steinbaucs. Die älteste dorische Säule erreicht in
ihren stänrmigen Verhältnissen die Selbständigkeit
eines Turmbaues; die schlankeren Formen der Blüte-
zeit gewinnen wohl an Zierlichkeit, erleiden aber
Einbuße an machtvoller Wirkung und jungfräulicher
Frische. Die Säulen der griechischen Bauwerke sind
ineist aus Trommeln hergestellt, welche sorgfältig
zusammengeschliffen sind, monolithe Säulen in größe-
ren Abmessungen kommen erst seit der Römerzeit auf.

Die Formen der klassischen Säulenordnungen
sind uns Modernen bekannt genug — vielleicht all-
zusehr — als daß es nötig wäre, dieselben hier zu
j beschreiben, ebenso ist es bekannt, welche geistreichen,
zum Teil wohl ganz modern gedachten und dem
Bewußtsein der Griechen fern liegenden Hypothesen
man an die Entstehung derselben geknüpft hat. Zn
Wirklichkeit waren die Kannelierungen des Schafts,
die Gliederungen des Kapitells und der Basis bereits
in früheren Perioden vorgebildet, obgleich erst in der
vollendeten griechischen Säule das jedenfalls un-
bewußte Streben nach Versinnlichung der latent dyna-
mischen Kräfte in der Schwellung und regelmäßigen
Furchung des Schafts, in der Profilierung der Basen
und in der Bildung der Kapitelle in typischer Form
 
Annotationen