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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 53.1902-1903

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Ausländische Fachleute über die deutsche Gruppe auf der Turiner Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7001#0089

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Ausländische Fachleute über die deutsche Gruppe auf der Turiner Ausstellung.

AI. p. Verneuil schreibt:

„Die moderne deutsche Aunst trägt im ganzen
vielleicht eine weniger stark ausgeprägte Originalität
zur Schau, obgleich inan auch da jetzt das Entstehen
eines eigenen Stiles verfolgen kann, der sich mehr
und mehr aus den zahlreichen Bestrebungen, die
Tag für Tag hervortreten, entwickelt Denn es ist
zu bemerken, daß in Deutschland die moderne deko-
rative Richtung von Anfang an einen rein praktischen
Tharakter angenommen
hat, daß das Publikum
diese bei uns noch be-
schränkte Bewegung er-
mutigt hat, — daß dieses
überhaupt mit einem sel-
tenen Geist künstlerischer
Methode und Erziehung
ausgestattet ist. Das ist
das, was uns am meisten
inangelt. Zudem geht in
Deutschland die neue Rich-
tung meist von den Archi-
tekten aus, während bei
uns die Architekten mit
wenigen Ausnahmen sich
vorzüglich durch die Stand-
haftigkeit auszeichnen, mit
der sie jede neue und inter-
essante Bestrebung zurückweisen. Wa-
rum auch nach Neuheiten suchen, wo
es so leicht ist, ein Haus ohne irgend-
welchen Tharakter nach bekannten
Rezepten zu errichten, — ein Bauwerk,
das im Notfall aus einem Bahnhof
in eine Börse, oder einen Iustizpalast
umgewandelt werden könnte, ohne daß
seine Fassade deshalb der Bestimmung
des Baues weniger angepaßt wäre.

Es ist also leicht zu verstehen, daß,
wenn die Bewegung von: Architekten
ausginge, sie viel fruchtbarer wäre,
weil dieser dann aus dem von ihm
gebauten Haus ein einheitliches Ganzes zu machen
wünschen müßte, bei dem das Mobiliar sowohl, als
auch Bilder und Tapeten der Architektur entsprechend
gewählt sein müßten. In einem Renaissancehaus
drückt sich dies Verlangen nach Stil lang nicht so
klar aus, im Gegenteil. Die deutsche Auffassung
dieser Bewegung ist also vor allem praktisch.

Aber eine andere Ursache lähmt bei uns den
Aufschwung der modernen Bewegung in Architektur
und Dekoration; die weitgehende Tentralisation.
Während sich in Frankreich das ganze künstlerische

Leben in Paris, dem einzigen Punkt, dem alles zu-
strebt, konzentriert, sehen wir, wie in Deutschland
diese Nlittelpunkte der Aunst sich mehren. Jeder Staat
hat seinen oder seine eigenen. So kommt es, daß
Berlin, Dresden, München, Stuttgart, Düsseldorf,
Darnrstadt, Karlsruhe und noch andere zu wichtigen
künstlerischen Mittelpunkten werden, ebenso wohl durch
ihre Ausstellungen, wie durch ihre künstlerische Pro-
duktion. Es ist begreiflich, daß dank dieser Decentra-

lisation der Geschmack des
Publikums weit rascher und
stärker umgebildet worden
ist, daß mit einem Wort
seine Erziehung sich auf
rationellere Weise vollzieht,
daß die Bewegung nor-
inaler fortschreitet.

Nicht nur die oben er-
wähnte künstlerisch metho-
dische Erziehung des deut-
schen Volkes muß man
anerkennen, sondern auch
seine kaufinännische Ini-
tiative. Die Deutschen haben
sehr wohl begriffen, daß
die eine ohne die andere
unmöglich wäre, daß die
dekorative Aunst nur ge-
deihen könne, wenn der Handel, welcher
diese Aunst ausnutzt, selbst gedeiht.
Darunr beschäftigen sie sich gleichzeitig
mit der praktischen wie mit der künst-
lerischen Seite; darum auch nehmen
sie auf den Ausstellungen in weit-
gehendem Maße an der allgemeinen
Araftanspannung teil. Nun unterstützt
eines das andere und auf den Aus-
stellungen kann man sehen, welch
großer Vorteil auch die praktische Ver-
wirklichung für die allgemeine Rich-
tung ist.

Schon in Paris bewunderte man
diese bedeutende Anspannung Deutschlands. In Turin
wurde diese Erinnerung wieder aufgefrischt und die
Anerkennung gewann noch, weil hier die Deutschen,
dank den gemachten Erfahrungen, noch mehr dem
praktischen Sinn —- wie schon bemerkt — Rechnung
trugen. Doch davon später.

Gehen wir nun zur Entstehung der deutschen
Ausstellung über, so nehmen wir an: besten unsere
Auskunft aus dem Vorwort des vornehmen, typo-
graphisch so schön ausgestatteten Abteilungs-
katalogs.

125. Handspiegel von Karl
Groß, ausgef. von Arthur
Berger, Dresden.

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