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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 53.1902-1903

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Erinnerungen an Nikolaus Gysis
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https://doi.org/10.11588/diglit.7001#0106

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(Erinnerung au iiifolaus (Sylts.

so ist doch in keinem von allen des griechischen
Künstlers hohe Bedeutung so sehr zum Ausdrucke
gekommen wie gerade in diesem letzten. Lenbach
sagt von ihm zutreffend, Gysis habe in seinen
Werken die Erinnerung an seine zweitausendjährigen
Ahnen wachgerufen.

Was Gysis groß und bedeutsam erscheinen
läßt inmitten der künstlerischen Wirren der letzten
fünfzehn Jahre, ist, daß er ruhig seinen Weg weiter
schritt, unbehelligt vom Kampfruf rechts und links,
unbehelligt von den Vorwärtsstürmern ebenso wie
von denen, die da lehren, man müsse, um voran
zu kommen, rückwärts schauen. Was geht das alles
einen Geist an, der durch höhere Kräfte, der mit
Naturnotwendigkeit in feine Bahnen geleitet wird!
schöpferische Kraft geht ihre selbständig gesuchten
Wege. Er ist einer von den Wenigen, die nicht irr,
die nicht wirr wurden, sondern in ruhig gemessenen!
Schritte jenen Höhen der Kunst entgegenstrebten,
wo nicht mehr das geistreiche Apercu, die feine Ab-
wägung des Tones, das Schlagende der Erscheinung,
die mehr oder minder ausgeprägte Gleichgültigkeit
gegen das, was man „Bildwirkung" nennt, den
Kernpunkt der Bache bildet, sondern wo große, von
keinerlei Detailwirkung gestörte Ruhe der Anschauung
dem Kunstwerke monumentalen Ausdruck verleiht
und es weit emporhebt über die Alltagsmalerei.
Darin liegt auch ein Hauptgrund, weshalb Gysis
kein Publikums-Maler blieb, was er, so lange er
Genrescenen malte, im besten Sinne gewesen ist.
Mit seiner steigenden Neigung, nur dem Schönen,
Großen Ausdruck zu verleihen, entfrenrdete er sich

162. Lörvenkoxfstudie für den „Triumphzug der Bavaria"
von k N. Gysis.

jenen Kreisen, die an seinen farbig sowohl wie
zeichnerisch köstlichen Bildern, Szenen aus dem Leben
seiner Heimat sowohl, wie aus dem deutschen Leben,
ein mehr oder weniger intensives Interesse gewonnen
hatten. Er beschritt fortan seinen eigenen Pfad.
Der aber öffnet sich meist nicht für breite Massen.
Dem Besten, was solch ein Kleister schafft, steht die
Welt im großen und ganzen meist verständnislos
gegenüber und illustriert tagtäglich das kuappe, harte,
wahre Wort Böcklins: „Die Kunst ist nicht für
alle". Ein guter Farbsleck, die zeichnerisch charak-
teristische Darstellung eines Objektes oder Subjektes,
die geschickte Darstellung eines guten Einfalles macht
eine künstlerische Arbeit in vielen, aber nicht in allen
Fällen für den Kunsthandel zum Gegenstände der
Spekulation. Ein Kunstwerk im höheren Sinne ist
sie freilich deswegen noch nicht, denn eigentliche
Kunst wirkt immer vornehm durch ihre Einfachheit
und ist jeden spekulativen Gedankens bar. Sie zeigt
nicht, welche Unsumme von verausgabter Kraft da-
bei ins Spiel kam, sie frappiert nicht durch die
offenkundig gezeigte Geschicklichkeit. Die Mache drängt
sich nicht vor, sie wirkt nicht prickelnd, denn das
wahre Kunstwerk „reizt" nicht im vulgären Sinne.
Es ist rein in jeder Hinsicht. Die Keuschheit liegt
nicht im Gewände, sondern im Ausdruck, und wenn
schon vom Gewände die Rede ist, in der Art, w i e
es getragen wird. Wem fiele es, der nur die künst-
lerische Form zu sehen gewohnt ist, aus, daß bei
dem herrlichen Parthenonfries Jünglinge, nur mit
dem leichtslatternden Tribon angetan, im gleichen
Auge mitreiten, wo Frauengestalten, züchtig in lang
herabwallende Gewänder gekleidet, schreiten! Unsere
Aeit bringt es vielleicht noch so weit, daß selbst
Kentauren oder Ganz-Hengste dem Gebote von Sitten-
gesetzen sich unterordnen müssen, die in Zeiten wirk-
lich großer Anschauung innerhalb jener Sphären,
die sich „die Gebildeten" nennen, ein völlig unbe-
kanntes Ding waren, obschon Tugend und Laster
auch solchen Perioden nicht bloß dem Namen nach
bekannte Begriffe gewesen sind.

Gysis vertritt nicht allein in dieser Hinsicht
die „Erinnerung an seine zweitausendjährigen Ahnen".
Seine Kunst war vor allem in ihrer letzten, höchsten
Entwickelung auch darin der hellenischen eng ver-
wandt, als ihr alle Merkmale der „Äußerlichkeit"
mangeln. Sie hat nichts Verblüffendes, ihre Schön-
heit bedarf keiner kosmetischen Mittel. Es gibt ja
eine Sorte von Kunst, die das Milieu der Kosmetik
im weitesten Sinne zum ihrigen gemacht hat, eine
Kunst, die nicht bloß dem Auge nahe rückt, sondern
auch die Geruchssinne, wenn auch nur mittelbar, in
Mitleidenschaft zieht und durch diese erst recht zur
 
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