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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 53.1902-1903

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Erinnerungen an Nikolaus Gysis
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https://doi.org/10.11588/diglit.7001#0108

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Erinnerung an Nikolaus Gysis.

Relieffkizze von t N. Gysis: Der Tod durch den
Ruhm besiegt.

Vervollkommnung des eigenen geistigen Menschen,
Veredelung aller Anschauung der Schöpfung — das
war es, was diesen eigenartigen Künstler, der als
Mann einen förmlichen Zauber auf feine Umgebung
ausübte, charakterisiert.

Bezeichnend für seine ganze Art ist die Illu-
strierung einer Novelle: „Philippos Marthas",

deren Autor ein Landsmann unseres Künstlers ist.
Gysis' ist dabei seine ganz eigenen Wege gegangen
und hat den Schriftsteller nicht schlechtweg zu inter-
pretieren versucht, vielmehr hat er seinem Werke
eine Begleitung gegeben, die machtvoller, größer
wirkt als das, was er schmückend heben sollte: In
Gysis' Figuren wirkt der Gindruck althellenischer
Kunst ebenso nach als die Erinnerung an einen
Menschenschlag, dem größere Vorzüge hinsichtlich
der körperlichen Entfaltung zu eigen sind als dem
Volke, unter dem Gysis seit s865 lebte. Seine
weiblichen Erscheinungen sind von einem Ebennraße,
wie es nur der Süden seinen Kindern gibt. Es
muß in Gysis ein förmliches „Nicht-anders-können"
gesteckt haben, denn in allen Regionen der Münchener
Modellwelt sucht man vergeblich nach einigermaßen
vollkommenen Erscheinungen. Ist der Kops gut,
so taugt das übrige nichts; hat der Mberleib an-
nehinbare formen, so sind zuineist die unteren Ex-
tremitäten verbildet oder der Gesichtsausdruck unan-
genehm, abstoßend; schöne Füße, fein gegliederte pände
aber gehören zu den größten Seltenheiten, und was
die Grazie der Körperhaltung, der Körperbewegung
betrifft, so schweigt man darüber wohl am besten.
Für Bauernbilder ist das ja ganz gut. Ein gewisser

Reflex davon fällt fast auf die gesamte Münchener
Kunst zurück.

Seltsam! Das Begehr nach leuchtender Farbe,
das Gysis bei Figurenbildern früherer Zeit auf-
weist, hat sich nicht auf seine weit bedeutsameren
späteren Schöpfungen so übertragen, wie es sich ur-
sprünglich äußerte, durch fest hingesetzte Kontrast-
wirkungen, vielmehr suchte er später Glanz und
strahlende Erscheinung über die ganze Fläche seiner
Kompositionen auszubreiten. Wäre sein großer Ent-
wurf: „Siehe, es nahet der Bräutigam mitten in der
Nacht" irgendwo zur Ausführung gelangt, so hätte
die seit langem auf dein immer gleichen Niveau
sich bewegende christliche Kunst vielleicht einen mäch-
tigen Impuls empfangen. Wie viele Kirchcnwände
werden jährlich bemalt, wie wenige erfahren künst-
lerische Ausschmückung! Übrigens gehört hierher
ein Studienkopf — er sollte einen: Erzengel ange-
hören —, der das vorhin Gesagte über Modelle
deutlich illustriert: Dieser ernste, streng männliche

Kopf trägt offenkundig Reminiszenzen an frühere
Studien des Künstlers an sich, die er in Athen, in
Smyrna u. s. w. gemacht hat, genau so, wie zu
dein „trauernden Genius" kein mit Isarwaffer Ge-
taufter Modell gestanden haben kann. Er reicht zu
nahe an apollinische Vorbilder.

Das Bedürfnis, hin und wieder dem Drange
nach stark farbigen Kontrasten Genüge zu tun, hat
Gysis in späterer Zeit nicht mehr im Figurenbilde
versucht. Er malte in solchen: Falle Stilleben. Es
sind Leistungen vorzüglichster Art, volle Farbenakkorde,
Erscheinungen, wie sie die Natur auf das fein ver-
ästelte Netz des Schn:etterlingsflügels hinzaubert,
ausgesprochenste Freude an feiner Tonerscheinung.

Gysis pflegte feine Arbeit aufs sorgfältigste vor-
zubereiten. Sie glich nicht dem Schuß, der sich ent-
laden n:uß im Moinente einer gewissen Überspannung
der Vorstellungskräfte. Er ging den Weg, den
Böcklin einn:al n:it klaren Worten kennzeichnete:
„Wenn es in: Laufe der Arbeit plötzlich irgendwo
fehlt, so fehlt es meistens nicht da, sondern in
der Idee, von vornherein. Man sucht dann mit
Schärfen, mit Durcharbeiten die Sache zu zwingen,
zu etwas zu kommen — das alles ist nur ein
Verstecken, das nützt alles nichts. Alles sich Schm
den und Plagen, Schönmachen und Appretieren,
Suchen nützt nichts — es fehlt von vornherein in
der Rechnung. Dieser böse Punkt, wo die Mittel
versagen, war übersehen." Das heißt :nit anderen
Worten, daß künstlerisches Schaffen nicht von: Zu-
fall, von nwmentanem Einfall allein geleitet werden
kann, sondern daß auch dabei einzig und allein das
ziel und zweckbewußte Arbeiten zu erfreulichen

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