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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 53.1902-1903

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Hagen, Luise: Die Kunststickerei in der Entwicklung des modernen Stils
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https://doi.org/10.11588/diglit.7001#0364

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Dii' Kunststickerei in der Entwicklung des modernen Stils.

57" u. 578. "Kiffen von Gertrud kjofrichtcr, planegg bei München. (Vs der wirk!. Gr.)
violett in violett. Rot in Rot.

vorgclegt wird, so würde er vielleicht erklären, daß |
Schirlitz-Behrendt mit einer gewissen Freudigkeit des
Lebens fjtnbermffe nimmt und durch ihren Mut sich |
und andere darüber hinweghilft, während pofrichter
durch die 'Kunst des harmonischen Ausgleichs und
der stillen Abrundung das Leben licht zu gestalten
weiß. Am feinsten vielleicht kommt ihre Natur in
dem Kissen (Abb. 58 s) jnr Geltung, dessen welliges
Linienspiel mit der Weichheit des Gebrauchszweckes
harmoniert. f)ier ist neben dem Kettenstich eine
Form der Applikation verwendet, die in unfern alten
Modelbüchern als „Außsneidenarbeit" figurieren
dürfte. Als Gegenstück in ähnlicher Technik kommt
die Tischdecke (Abb. 583) von Schirlitz-Behrendt in
verwandter Technik, an dem die kühne Lösung des
Eckproblems besonders fesselt. Etwas skeptisch stehe
ich den Gräßenverhältnissen der Rosen vom Hals-
ausschnitt und an den Ärmeln des Reformkleides
dieser Künstlerin (Abb. 585) gegenüber; an dem
Schleppensaum befriedigt der Maßstab mein persön-
liches Empfinden, auch deshalb, weil hier der Be-
griff einer leichten Betonung des Gewichts am Platze
ist. Ganz im allgemeinen erfordern Reformkleider,
um Erfolg zu haben, den allerraffiniertesten wissen-

579 Rissen von Gertrud isosrichter, Planegg bei München.
Grauer Grund, Stickerei rötlich-violette Leide. (Z/, d. w. Gr.)

schaftlichen Zuschnitt — eine Sadjz, von deren Not-
wendigkeit kaum die tausendste Frau eine Ahnung
zu haben pflegt.

Das Kiffen mit den Seesternen und Algen
(Abb. 586) spricht mich vermöge der natürlichen Zdeen-
assoziation an. Das spröde Material des ziemlich
hochflurigen Plüschvelvet hat hier der Entwicklung
der Zeichnung große Schwierigkeiten bereitet.

Ein großer Teil aller modernen Stickereien
leidet unter dem Übelstand, daß die Danien aus
mangelnder Kenntnis der Eigentümlichkeiten des
modernen Färbereiwesens mit völlig unhaltbaren
Farben hantieren. Zn dem Bestreben, Neues um
jeden Preis zu bieten, greifen sie zu Farbentönen,
die unendlich empfindlich gegen Luft und Licht sind,
daher in kürzester Frist sich verändern und mit Recht
den Käufern die Anschaffung von Stickereien ver-
leiden. Zn dieser und in inancher anderen pinsicht
zeichneten sich die Arbeiten von Frl. pedw. Gmelin-
Karlsruhe auf der Türmer Ausstellung sfl02 vorteil-
haft aus. Sie lassen auch deutlich erkennen, daß
die pandarbeit immer noch bestimmte intime Reize
besitzt, um die sich die Nlaschine einstweilen noch
vergeblich müht. Zn der Wahl der Farben ist hier
eine instinktive Sicherheit vorhanden, die kein über-
reiztes Raffinement anstrebt und eben deshalb auch
die Gewähr größerer Dauerhaftigkeit bietet — wie
z. B. bei detn Kiffen (Abb. 587), wo die Künstlerin
pfaublaues Tuch mit Applikationen von goldgelber
Seide und braungelber Stickerei verbindet. Denjenigen,
der mit den Formen der Natur vertraut ist, Blüten
und Blätter da belauscht hat, wo sie wild wachsen und
ihnen nicht nur in den Markthallen und großstädtischen
Blumenläden nachgegangen ist, berührt es angenehm
überraschend, wie gut die Genannte es versteht, ihre
 
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