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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 56.1905-1906

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Berlepsch-Valendàs: Der neue Bodenseedampfer "Lindau"
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https://doi.org/10.11588/diglit.10293#0014

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Der neue Bodenseedampser „Lindau".

Drüben aber, unweit vom Rheinufer stand
eine mächtige Halle. Da waren aufgestellt un-
geheure Kanonenrohre, Panzerplatten, Schiffsteile
in Eisenguß, der ganze maschinelle Apparat des
modernen Krieges, der modernen Schiffahrt. Und
wieder in anderen weithalligen Gebäuden gingen
die mächtigen Fördermaschinen der Kohlenbergwerke,
bewegten sich die ungeheuren Hämmer, die Eisen
hobelnden Meißel, schnurrten die Triebräder und
glitten die Triebriemen in unaufhörlichem Kreislauf,
Kraft von einem Ort auf einen anderen übertragend.
Das war der Ausdruck unserer Zeit. Er war an
Kraft nicht minder stark als die
Gelasse der Kunstausstellung, ja
wenn ich ehrlich sein soll, so muß
ich gestehen, daß er am meisten
auf mich wirkte, nicht durch die
Elementargewalt allein, die überall
da in feste Form gebannt erschien,
sondern vor allem durch die Un-
summe von Geist, von Vor-
stellungskraft, von folgerichtigem
Denken, was sich darin kundgab,
jede Form Ausdruck der Funktion,
zweckdienlich, knapp, künstlerisch
genommen, eine Art von Stillehre,
wie sie besser nicht gedacht wer-
den kann. Hier sprachen „unserer
Väter Werke" nicht mit und den-
noch wirkten die Gebilde schön.

Es ist eine Schönheit eigener
Art. Zch verstand es mit einem
Schlage, daß der Ausdruck alles
zeitbestimmenden Wollens auf

Gebieten sich dokumentiere, die
in keinem äußerlichen Verhältnis
stehen mit den Formen vergangener
Zeiten, daß aber die Kunst unserer Tage nur in
ganz, ganz vereinzelten Fällen an innerer Größe
standhalte gegenüber dieser neuen Welt von Formen,
die der Zweck geschaffen. Was bedeuten diesen

Schöpfungen gegenüber, die tagtäglich in neuen Riesen-
werken neue Werte schaffen, die stillstehenden Formen
unserer Architektur, die immer wieder in Anlehnung
an längst geschaffene Vorbilder dem Geiste einer neuen
Zeit gerecht zu werden versucht! Und wie kommt es,
daß die gewaltige Schaffens- und Erfindungskraft, die
sich in der maschinellen Erfindung fortwährend aufs
neue dokumentiert, keinen Widerschein wirst aus jene
künstlerischen Gebiete, die ebenso eng dem Leben sich
anschließen müßten, wie die Maschine sich dem zu
verarbeitenden Stoffe gegenüber verhält. Warum ist
auf dem einen Gebiete Anpassungsfähigkeit an Stoff

2. Bodenseedampfer „Lindau". Ver-
bindungsstück der Träger mit der Längs-
rippe. Bronze, entworfen von kf. T.
v. B erlepfch -Da len das, ausgeführt
von Jos. Bathgeber, München.

und Arbeitsleistung grundlegendes, klar zum Ausdruck
gebrachtes Prinzip, während die Architektur und ein
gut Teil dessen, was in ihrem Bereich sieht, nicht
loskommt vom Kanon, den andere Zeiten im Ver-
wirklichungsdrange ihrer Zdeen geschaffen haben!
Ist Unwissenheit, Unfähigkeit der Grund dafür, daß
überall die Lüge zur Regel geworden ist, im Leben
wie in der Kunst! Zm großen und ganzen ist alles,
was sich Künstler nennt, von einem gewissen Hoch-
mut besessen dem Techniker gegenüber, und dieser
Hochmut berechtigt ja selbstverständlicherweise zur
Unwissenheit. Die Künstler sind zu zählen, die dem
unerbittlich logischen Gedanken-
gang, den alle technischen Fragen
mit sich bringen, zu folgen ver-
mögen; charakteristischerweise aber
suchten jederzeit die wirklich großen
unter ihnen einzudringen in den
Geist der maschinell arbeitenden
Kraft. Es fei erinnert an Lio-
nardo, an Dürer, an Böcklin.
Ihre große Auffassung der Natur
mußte sie ja auf die Bändigung
der Kraftwirkung hinüberführen.
Daß aber das Publikuni den
Kontrast nicht fühlt, der zwischen
der großartigen Entwicklung auf
dem Gebiete der Technik und der
weit geringeren innerhalb künstle-
rischer Tätigkeit sich breitklaffend
aufgetan hat, liegt in dem Um-
stande, daß unser ganzer Bildungs-
gang noch nicht durchsetzt ist mit
der Bildung von Auge und Hand.
Gerade die „gebildete Welt" ist
darin außerordentlich rückständig.
Der Lernende erfährt über die Aus-
rüstung der römischen Legionssoldaten viel eher jede
Einzelheit, als ihm auch nur eine Ahnung über die
mechanischen Funktionen der Pflanze, des tierischen
Körpers, über das Wesen der Elektrizität und so
vieler naheliegender Dinge geboten wird und er sich
so allmählich eine Vorstellung über den Zusammen-
hang der Dinge bilden kann. Die historisch-philo-
logische Bildung verschließt alle Tore gegen das
Eindringen von Zdeen, die nicht auf ihrem Gebiete
liegen. Dieser Unterschied trat deutlich genug zutage
am fünfzigsten Stiftungsfest des eidgenössischen Poly-
technikums zu Zürich im vergangenen Sommer. Un-
gezählt sind die Männer von Bedeutung, die dort
auf der Schulbank gesessen haben und später ihr
Wissen in der Lösung großer Probleme aus die Probe
stellten, freilich nicht theoretisierend, sondern in prak-
 
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