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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 56.1905-1906

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Grautoff, Otto: Die freie Vereinigung Münchener Kunststudierender
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https://doi.org/10.11588/diglit.10293#0252

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Die Freie Vereinigung Münchener Kunststudierender.

was wir verlangen können
und müssen, sind wir damit
wirklich am Ende einer Ent-
wicklung? Sicherlich nicht.

Das alles ist ja erst ein
Anfang. Es bedeutet einen
Anfang, daß man Aunst
auf sich wirken läßt, Aunst
in sich aufnimmt. Und
dieser Anfang ist das Mittel
dazu, die Augen der Men-
fchen empfindlich und ihre
Sinne sensibel zu machen.

In den geistigen Zentren
Deutschlands ist sicherlich
schon heute die Zahl der
Menschen groß, die eine
häßliche Fassade unange-
nehm berührt, eine schöne
und harnionisch gegliederte
Straßenarchitektur erfreut,
deren Augen mit Wohlge-
fallen auf einem schwung-
vollen jDlakat in kräftigen
Farben, mit Wohlgefallen
auf eleganten Toiletten
ruhen, kurz, deren Augen
instinktiv auf alles häßliche
und Schöne reagieren, dem
sie im Laufe des Tages be-
gegnen. Wie anders aber
sieht es in der Provinz aus.

Ulan braucht nur die Archi-
tektur in einer mittelgroßen
Stadt Deutschlands zu prü-
fen, die Schaufenster in einer
solchen Stadt zu mustern und
die Plakate in diesen Städten
zu betrachten. Den Einwohnern dieser Städte fallen alle
diese Dinge nicht auf, weil sie es eben nicht anders ge-
wohnt sind, weil ihr künstlerisches Empfinden sich dem
Milieu assimiliert hat, in dem sie leben. Uns aber,
die wir aus einem künstlerischen Zentrum heraus-
kommen und eine derartige Stadt durchwandern, fällt
überall ein Mangel an künstlerischem Empfinden, an
instinktivem Geschmack auf. Wir erschrecken und fühlen
uns abgestoßen, wenn wir in jDrovinzstädten die Läden
besuchen und in Galanteriegeschäften sehen, was da
alles feilgehalten wird. Und wir erstaunen eben-
sosehr, wenn wir in kleinen jDrovinzstädten die
Tapeten in den Wohnungen sehen und die Möbel
in den: Fabrikstil der jDseudorenaisfance. Auf einer
solchen Reise kommen wir dann doch wieder zu der

553. Naturstudie von Georg To bl er, München.

Überzeugung, daß die Agitation zur Förderung des
Aunstverständnisies noch nicht Nachlassen darf. Es
gibt noch immer viele Gebiete der Aunstindustrie,
in denen nicht künstlerische, sondern industrielle Prin-
zipien vorherrschen. Man denke nur an die Möbel-
industrie der Provinz, an die Spielwarenfabrikation,
an die Tapetenindustrie. Am besten steht es heut-
zutage vielleicht in der Buchbindekunst und in den
graphischen Aünsten; aber auch auf diesen Gebieten
wird außerhalb von Berlin, München und Leipzig
gar oft noch wenig Gutes geleistet. Andrerseits aber
ist der künstlerische Beruf stark überfüllt. Da sitzt
nun eine große Anzahl talentierter junger Leute, die
eine vortreffliche Ausbildung genossen haben, und
harren lange vergebens auf eine Gelegenheit, ihre

Aunst und pandwerk. 56. gnhrg 8.

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