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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 60.1909-1910

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Pudor, Heinrich: Heimatmuseen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9044#0383

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Diez-Digucttcu. — fjeimaimufcen.

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aufgegangen, derart, daß wir, wenn wir eine Aunst
verstehen wollen, ihre heimatlichen Wurzeln bloß-
legen müssen. Eher in der Literatur haben wir eben
dies von jeher getan. In der bildenden Aunst
schwärmten wir viel zu sehr für Internationalismus
und Aosmopolitik und hielten die Betonung der lokal-
geschichtlichen Bedingungen für engherzig. Es könnte
aber wohl eine Zeit kommen, zu der die organische
Auffassung der Aunst weit genug gediehen sein wird,
daß wir daran gehen können, die Museumsbestände,
soweit sie auf fremdem Boden Gewachsenes be-
herbergen, auszutauschen, derart, daß man den ganzen
Dürer in einem Nürnberger Dürermuseum, den ganzen
Turner in einem Londoner Turucrmuseum sein solches
ist in der Tat kürzlich in Anschluß an die Tate-Galerie
in London eröffnet worden) finden und studieren kann.
Alan denke sich nach diesem Prinzip die oberitalie-
nischen Städte lind Museen reorganisiert, daß man
die ganze Bresciancr Aunst in Brescia findet, den
ganzen Filippo Lippi, perugino und Rafael in
Florenz. Es könnte dann denjenigen Galerien, die
die Originale austauschen müssen, jeweils eine gute
Aopie gegeben werden. Und soweit die Idee heute
noch undurchführbar ist, könnten umgekehrt die
peimatsmuseen sich gute Aopicn aller der Werke,
die sie nicht in den Originalen erhalten können, Her-
stellen lassen. Und dieser Gedanke zum mindesten ist
heute spruchreif. Jede Stabt sollte ein peimats-
museum anlegen, das die Geschichte der heimatlichen
Aunst lückenlos mit pilfe guter Aopien darstellt, und

soweit die betreffende Stabt einen „ganz Großen"
hat, wie Wenzel in Berlin, Thoma in Frankfurt,
Alinger in Leipzig, sollte sie ein eigenes Museum für
eben diesen Aünstler einrichten; Ansätze hierzu finden
sich übrigens schon in einzelnen Städten, wie das
Wucrtz-Museum in Brüssel, das Schadow-Museum
in Berlin, und auch auf anderen Gebieten der Aunst,
Literatur und Musik, wie beim Aörncr-Museuin in
Dresden, beim Richard Wagner-Museum in Eisenach,
beim Goethe-Museum in Weimar.

Diese peimatsmuseen brauchen aber bei der
Aunst nicht haltzumachen, sie sind in gleicheni
Maße für das Aunstgewerbe zu fordern. Wenn wir
heute ein städtisches Aunstgewerbemuseum betreten,
begrüßen uns gewöhnlich an erster Stelle chinesische
Bronzen und buddhistische Tempelnachbildungen. Der-
lei gehört besser in ein Bölkermuseum. Ein Aunst-
gewerbcmuseum sollte in erster Linie die Entwicklung
des Aunsthandwerkes des peimatsortes zur Dar-
stellung bringen. Welche Unsummen haben nicht
die Museen auf den Weltausstellungen, besonders in
Paris, Thikago und St. Louis, in die Erwerbung von
Arbeiten ausländischen Aunstgewerbes gesteckt und
noch dazu von Dingen, die, wie Einsichtige unter
ihnen zugestehcn, heute reif fürs Lager sind. Wäre
es nicht vernünftiger gewesen, diese Gelder für den
Erwerb heimischer Aunstaltertümer zu verwenden?
Pier ist auch der Punkt, von dem aus die blühenden
Fälscherküuste für die echte Aunst dienstbar geinacht
werden können, derart, daß von in privatbesitz oder
in auswärtigem Besitz befindlichen Aunstgegenständen
Aopien, Nachbildungen, „Imitationen" angefcrtigt
werden. Dis heute grassierende „Wut", die Dörfer
und alten Stätten, z. B. der Biedermeierkunst, aus-
zuspüren und auszurauben und „echte Antiken" für
den Pandel oder fürs Museum zu bekommen, ist von
Übel und ist kulturwidrig, barbarisch und wirkt zer-
setzend und zerstörend, nicht aufbauend. Es genügt voll-
kommen, wenn man für Museumszwecke gute Aopien
herstellt mit Pilse eben des hochentwickelten Fälscher-
kunsthandwerkes. Das gilt ebenso von Möbeln und
aller Art pausgerät, wie Goldschmiedcarbeiten und
selbst Trachten (heimatliche Trachtenmuseeu — eine
wichtige Aufgabe für sich?).

Nebenbei bemerkt, gilt es auch für naturwissen-
schaftliche Museen, den hier geltend gemachten Gesichts-
punkt zu verwerten, derart daß inan in Geologie,
Geographie, Botanik, Zoologie vom peimatsorte
ausgeht und zunächst eine Sanrinlung der heimat-
lichen Pflanzen, Tiere, Steine usw. zusammenbringt,
pat doch die Pädagogik endlich diesen Grundsatz, in i)

i) Dgl. hierzu den Artikel des Verfassers: „Kostüinmusecu",
Aöluische Zeitung, 27. Februar ;9;o.

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