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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 60.1909-1910

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Schulz, Fritz Traugott: Die Neue Schnitzerschule in Oberammergau: Architekt: Prof. Franz Zell, München
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https://doi.org/10.11588/diglit.9044#0394

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Die neue Schnitzerschule in Vberaminergci».

man von ihm zu sämtlichen
Räumen gelangen. Durch sein
reichgeschnitztes Geländer, seine
kräftige polychromie und
den warmen Ton seiner Decke
fesselt es unwillkürlich den
Blick, chn weicher Windung
strebt es nach oben, um dort
in behaglicher Breite einen
Abschluß zu finden. 3” leb-
hafter Erinnerung ist mir von
meinem Besuche immer noch
der Antrittspfosten mit sei-
nem naturalistisch geschnitzten
Fruchtkorb, der reich beladen
ist mit den Gaben der Natur,
ja von ihnen förmlich über-
quillt. Ein plastisch greifbarer
Fruchtfeston leitet nach unten
herab und umwindet in energi-
scher Biegung die Rundung
des Schaftes. Die kräftige
Farbe steigert die Natürlichkeit
auf ihren höchsten Grad. Recht
originell in der Erfindung sind
die geschnitzten Füllungen, be-
stehend in ornamental einge-
faßten Symbolen auf Vber-
ammergaus Wirken und Ge-
schichte. Allegorisiert sind na-
türlich in erster Linie die
Pauptlehrfächer der Anstalt,
nämlich Schnitzerei und
Malerei, weiter dann die
vier Jahreszeiten, Pandel,

Religion, Rottwesen, der pergottsschnitzer und der
Rösselschnitzer. Der Namenszug des Prinzregenten in
der ersten Füllung rechts soll andeuten, daß das paus
unter seiner Regierung erbaut wurde. Nicht fehlt auch
S. Lukas, der Patron der Schnitzer. Aus all diesen
hübsch durchgeführten Einzelheiten spricht eine große
Liebe zur Sache, die getragen ist von einer lang-
jährigen Beschäftigung mit der Vberammergauer
Bolkskunst. Gerne betrachten, ja bewundern wir sie,
um UNS dann aber der wohltuenden Geschlossenheit,
die von der Decke ausgeht, hinzugeben. Mit ihren
leicht vertieften Rasselten bezeichnet sie im Gegensatz
zu dein Reichtum der Treppe eine in sich gefestigte
Ruhe. Die Füllungen zeigen die Naturfarbe des
polzes. Das übrige ist grau-blau und dunkelblau
gehalten. 3n die Witten der Raffelten sind frei-
komponierte Motive eingefügt, wie Blumenkörbe,
Blumenvasen, Blumensträußchen und Bögel. 3m

ganzen ist die Durchbildung der Decke im Sinne einer
höheren Volkskunst bei moderner Auffassung erfolgt.
Die Gesamtwirkung des Treppenhauses ist darum
eine so ausdrucksvolle, weil die weiße Farbe der
Wandflächcn eine ausnehmend plastische Peraus-
hebung der polychrom behandelten Teile herbeiführt.

Die Türen zu den einzelnen Räumen sind teil-
weise mit geschnitzten Aufsätzen, aber durchgängig
mit gemalten Füllungen versehen. Besonders reich
behandelt ist die Türe zum Zimmer des Leiters der
Anstalt. Eine geschmackvolle Portierenschnitzerei hebt
sie auf den ersten Blick vor den übrigen Türen her-
aus. Natürlich ist dies nicht ohne Absicht geschehen,
hat doch das Zimmer selbst eine Ausstattung erhalten,
die seiner Bedeutung in nachhaltiger Art einen sicht-
baren Ausdruck gibt. Es ist dem Architekten ge-
lungen, einerseits eine gewisse repräsentative Würde
in das Ganze hineinzutragen, anderseits aber daneben

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