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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 3.1923

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Heft 3 (Mai 1923)
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Kolb, Gustav: Schöpferischer Zeichenunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.22197#0051

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allgsmeinL Erziehung und Geiskesbildung unseres
Volkes wie fiir sein wirtschastliche Merts schasfendes
Arbeitsleben.

Daß Grorhinann mit diesen neuen Ausgaben wohl
vertraut ist und mit ihnen seit Iahren ringk, davon
gebsn seine Schriften Zeugnis. Er schrieb doch schon
1914: „Eine Ilmgestalkung des Zeichenunterrichts im
Sinne öer Znkellektuellen wärs keine neue Reform
und wahrlich kein Aufstieg seiner Entwicklungskurve."
Selbstverständlich oerkennt er nichk, daß „bewugks
Kenntnis und Erkenntnis der sichkbaren und tast-
baren Naturkaksachen, Apperzeption oon Wicklich-
keitseindrücken, tlbung in der Tschnik des (physischen)
Sehens und der reproduzierenden Organe eine Haupt-
aufgabe des Zeichenunterrichts bleiben muß", aber er
will das Nakurstudium mehr künstlerisch-gefühlsmäßig
betrieben wissen odsr wenigstens „aus dem künst-
lerischen Derstand". Aber Naturstudium genügt nichk.
Er isk davon überzeugt, daß „neben diesem gleichsam
realiskischen Bestreben ein anderes, das mehr auf dem
inneren als dem äuheren Sehen beruht, einhergehen,
ja, ihm vorausgehen mutz". Denn „der Anterricht,
der sich auf das Aaturskudium beschränkt, kann sehr
verdienstlich sein, eigentlich schöpferisch !sk er nichk.
Er ist deshalb auch nicht „nakurgemüß"; denn er läßt
die eigene-Natuw des Menschen zu wenig zu ihrsm
Aechke kommen". „Der künstlerische Expressionismus
hat für den Zeichsnunterricht die Bedeukung eines
pädagogischen Prinzips, welches fordert, die Kunst-
krast des Kindes lebendig zu machen und zwar un-
abhängig von seiner Kenntnis des Lebens, das außer
ihm ist. Denn das Kind ist ein künstlerisches Wesen,
bevor es ein erkennendes ist." Auch hat ihm die
Erfahrung gezeigt, daß man „das wirkliche Können
eines Zeichners vor ailem an dem erkennt, was er
aus dem Kopfe, d. h. aus der allgemeinen Borstel-
lung und Phantasie zu machen imstande ist."

Seine Antersuchungen in der vorliegenden Schrift
befasfen sich deshalb hauptsächlich mit der Frags, „in
welcher Weise der Zeichenunkerrichk die von der
Naturkennknis mehr oder weniger un-
abhängigen schöpferisch - gestalkenden
Anlagen der Schüler wecken und pfle-
gen könne, ohne das auf Tatsachen-
anschauung beruhende zeichnerische
Können zu vernachlässigen" und er meink,
„es wird sich dabei heraussteilen, daß es sich um zwei
verschiedene, ost geradezu widerstrebende Ziele han-
dslt, die in der Aegel nicht auf parallel lausenden
Wegen erreicht werden können."

Aus diesen Darlegungen ersehen wir, daß Gr. heuke
das für möglich, ja für nokwendig hälk, was er in der
ersten Auflage seines Werkes: „Der linterrichk im
Zeichnen" andeutete, wenn er sagke: „Fllr abgeschlos-
sen halke lch die Reform nichk. Noch ein lehter Auf-
stieg ist der Kurve in der Entwicklung des Zeichen-
unterrichts vorbehalten. Die äußersten Konsequenzen
der Reformideen durfte keine Ilnkerrichksbehörde
zurzeit ziehen. Der Sprung wäre zu groß gewesen.
Aber nach 20 siahren wird auch für die lehte Ent-
wicklung der Boden bersit sein." Es ist tatsächlich
eine Berschiebung des Schwerpunktes von der Seite
der früher allgemein bevorzugken Nezeption und Ne-
produktion nach der Seike des Gestaltens von innen
heraus eingeireten. Diese Umwälzung, die sich eben

vollziehk, entsprichk ebensowohl der pädagogischen
Forderung, das Schöp'ferische im jungen Menschen
zu wecken und zu eniwickeln, — das äußere Auge ist
passiv, das innere, das Geistesauge aktiv — wie auch
der sog. expressionistischen Kunstrichkung. Beide aber,
die neue Pädagogik sowohl wis die werdende Kunst
sind Ausfluß einer neuen Welkanschauung, des ver-
änderten geistigen Gesamtbewuhtseins unserer Zeik.
Neben dem phankasiemäßigen Darstellen aus der in-
neren Borskeltung ist aber noch ein weiteres Kunsk-
problem in den Brennpunkt unseres Interesses ge-
treken. Wir nennen es nach Mfiel, der bahnbrechend
für diese Sache wirkte, das Probiem der k ü n st - ,
lerischen Mittel jvergl. Kunstj und Iugend,
Hest 1, 1921). Dieses Problem, das die besten unserer
heutigen Künstler beschäftigt und zwar leidenschafilich
beschäftigt, wurde allerdings nicht von ungefähr ge-
rade jetzt beim Wiedererwachen künstlerischer Aus-
druckskraft aufgerollk, bezieht sich aber nicht nur auf
die besonderen künstlerischen Probleme des sog. Ex-
pressionismus. Bielmehr handelt es sich hier um Ge-
staltungsgesehe, die den wirklichen Kunstwerken aller
Zeiten zu Grunde liegen, deren Kenntnis aber, wie
unsere Künstler meinen, seit langem verloren gegan-
gen sind. Daher das inbrünstige Suchen nach diesen,
von allem Gegenständlichen, von allem Literarischen
und Philosophischen freien, zeitlosen Gesstzen der
reinen künstlerischen Beziehungen von Form und
Farbe, von Licht und Schakten, von Linie, Fläche und
Körper. Worum es flch handelt, mögen unsere Leser
aus den in diesem Hest aus dem „Kunstwart" ab-
gedruckten Äußerungen eines Malers ersehen.* Wenn
Fachgenossen, die eben nicht nur Zeichenlehrer, son-
dern auch Kunstlehrsr sein wollen, sich um die Auf-
gabe bemühen: wie sind die Erkenntnisse, die wir
bisher von den künstlerischen Mitteln haben, sür die
allgemeine. Kunsterziehung in unseren Schulen zu ver-
werten?, so verdienen sie unseren Dank, sofern sie
anders wichtige Aufgaben darüber nicht vernachläs-
flgen. Frsilich ist dieser Boden noch Reuland, und
nicht jeder wird es wagen können, ihn zu betreten.
Aber soweik ist das Problem schon geklärt, daß wir
Lis Forderung erheben dürfen nach cinem Kunstunter-
richt, der Len Schlller planmäßig von unten heraus
mit den Fragen der künstlerischen Beziehungen von
Form und Farbe durch eigens Arbeit vertrauk wer-
den läßt: sei es durch besondere dekorative tlbungen,
wis sie auch Grothmann in seiner Broschüre emp-
fiehlk, oder durch rhythmische ornamentals llbungen
im Sinne Lhristoph Nakkers jflshe Kunst und Iugend
Hest 5 und 6 1922) oder durch llbungen im Aufteilen
von Flächen in Schwarz-Weiß odsr in Farbe nach
den Lehrbeispielen Hölzels. Wenn Grothmann es für
notwendig hälr, im Hinblick auf solche Ilnterrichts- '
versuche mancher Fachgenoffen, seine warnende
S.timme zu erheben und „Wasser in den Mein der
expressioniskischsn Erziehungsgedanken zu gießen", so
beruht das wohl auf einem Mißvsrskändnis. Er hak
den Sinn solcher llbungen wohl noch nicht völlig er-
kannt und übersieht namentlich, daß es sich dabsi an
sich um eigenklichs expressionistische Kunskversuche
nicht handelt. Sonst würde er auch einige wihige Be-
merkungen unterdrückt haben. Solche Übungen kön-

^ oStizzenwirtschaft^ oder mehr? AnLwort eines Knnstlers,
Kunstwart, 1922, Heft 2.
 
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