lehre, die allgememe Psychologie und vor allem die
pädagogische Psychologie. Allsin wie wenig ich auch
den Wert dieser Hilssmitiel unterschätze, wertooll
werden sie doch nur inl der Hand des Menschsn, der
eine nakürliche Begabung besitzt, in das Wesen
eines konkreken anderen Wesens sinzudringen,
es in seiner Totalität zu osrskehLN oder wenigstens
vorahnend zu erfassen. Hier ist won Haus aus eins
Ligenschafk nötig, wie sie auch dem Geschichtsschrei-
ber, dem Dramatiker, dem guten Aomanschriftsteller
eigen ist und die Fähigkeit des divinakocischcn, in-
kuikwen Erfassens einer Menschenseele aus den
Bruchskücken dsr Worke, Zandlungen, Gebärden,
kurz, der versinzelten Ausdrucksweisen des Men-
schen. . . . Mit den Regeln und Gesetzen allgemei-
ner empirischer Psycholsgie haben wir noch keinen
Schlüsie! zur einzigartigen indwiduellen Seels. Wir
können grosie Psyä)oiogen> sein und doch kann uns
elne destimmke Seelennatur dauernd ein Buch mit
7 Siegeln bleiben. Wir können umgskehrt keine
Ahnung von den subkilen Antersuchungen der pfycho-
logischen Wissenschafi haben und doch aus einer an-
geborenen E i n s ü h l u n g s f S h i g k e i k heraus,
die durch Ersahrung und Äbung gestärkt worden ist,
das Rätsel einer beskimmken Menschenseele lösen.
Aus: Gevrg Kerfchsnstsinsr! Die Seele deS
Lrziehsrs uird dasProblcm dsrLehrerbildmrg.
Berlag B. G. Leubnsr irr Lsrpzig.
GoLikund Renaisiancs. Die Gokik gibk ihr Raum-
gebilds ganz und gar wie im Werden begriffen.
Sie rechnek mik dem lebendigen Menschen darin, mit
seinsm Gang durch die strophisch gegliederke Wandel-
bahn, mik dem schweifenden Blick durch den Tastraum
unten und den Sehraum droben, bis hinauf in das
mimische Gebaren der steinernen Rippen, des Skab-
und Matzwerkes der Fenster im farbigen Dämmer-
schein untsr der Möibung. Deshaib hak man, nur
allzuschneil, die Formel geprägt: „Die Gotik ist lauter
Bewegung." Aber seit der zweiten Hälfte des
14. Iahrhunderks, nachdem die syskematische Durch-
bildung des Stils in Frankreich und den Nachbar-
ländern vollendek war, fängt die machtvolle Rhythmik
des Raumgebildes an, sich zu bsruhigen. ilntsr dem
Linflutz der oplischen Auffassung wird die Zegemonie
der motorischen Änteilnahme gemätzigk, inmitten des
bisherigen Bewegungszuges Gelegenheik zum Skiil-
stand der Schau eingeschaltet und der Bollzug deS
Ganzen verlangsamt. Die italienische Spätgotik ver-
einfacht und vergrößert dsn Strophenbau und gelangt
zur Weiträllmigkeit, in öer die Hereinziehung des
menschiichen Subjekks, unker Borherrschaft des
Schauens, sich wesenklich veränderk. Am Ende des
Ouakkrocenko skeht die Raumeinheik in ihrer ruhigeü
Gesetziichkeit dem Besuchsr ais objsktiv gegebener
Bestand gegsnüber und umschließt ihn mii der Sicher-
heit des Setns in seinem Stilistand. Bramante und
Lionardo haben die Gokik aufgehoben in die Renais-
sance. Die rhykhmischs Travtze wird in den Zenkral-
bau hereingenommen (St. Peter), die mimischs Aus-
führung aus lauter Ausdrucksbewegungen in der
Bildanschauung eines einzigen Momentes ausgebreitet
(Abendmahl). Die Vsrtreter des Bewegungsdranges
unter den ikalienischen Büdnern und Malerii des
15. Zahrhunderts (wie Botticeiio) sind allesamk nach-
geborene Söhne der Gotik oder vom Auskiang des
mokorischen Bedürfnisies durchdrungen. Selbs! die
Leidenschaft, mik der die Pecspektivs ergriffen wird,
ist ein Sympkom: es ist nur ein anderer Spielraum
für die gewohnte Rhythmik des Ausdruckslebsns, und
der Zug in die Tiefe löst alle Bestandteils der
Raumeinheit wieder in Werdsn auf. Der echke
Sohn der neuen Zeit lernt den festen Standpunkt
vor seinem Gegenstand innehaiken und gewöhnt sich
im eifrigen Abkonterfeien seines Modells an den
eigenen Stillstand. Es ist die plastische, auf das
substantiell Anschauliche gerichtets Sinnesart, die
wieder Lie Oberhand gewinnt, nicht mehr die Seels
als einzigen Merk aneckennk, sondern den Leib. Die
Einordnung des gezeichneten Körpers in den drer-
dimsnsionalen Raum zwingt ihn zur stersomekrischen
Sicherung deä Koordinatensystems. Sein Raum
mutz kristaiiinische Klarheit und Unverrückbarkeit
seiner Achsen besihen, wie die Zenkralperspekkioe ihn
konstruieri. Diese ReaÜsten suchen alle nich! mehr
das -zeikliche Geschehen, sondern den räumllchen Be-
stand, nicht mehr Bewegung, sondern Beharrung,
selbst im Festhalken des plastischen Motivs, das
bodenständige Dasein deä Menschen auf dieser Erde
isk das lehte Absehen der Aenaissance und verbindet
als Gemsinsames die Entwickiungsphassn dss Sküs,
wie es ihre Welkanschauung von der des Miktel-
aiters scheidet.
Aus: Gotik in der Renuiffctnce von A. Schmarsow.
Moderne Naturwrsienschaft. Moderns Natur-
wisienschaft, die längst auf dissen Namen hätke ver-
zichten solien und Objekt- oder Materialwisienschast
sich nennen sollke, da sie am gründlichsten die Wesen-
heiten der Nakur zu Materie, menschlich nicht mehr
zu erlebsndem, fondern nur Zu berechnendem Me-
chanismus umgedsutek hat, köket das Lebendigs simr-
licher Fülle unü das unmrtteibar Eindringliche der
nur intuikiv zu erlebsnden Natur,- sie bildet koke
Begrisfe daraus, letzkhin völlig wesenlose, nur noch
zahlenmäßig zu faffends quanfitative Teils, der
sinhaltslosigkeit des Geldes vergleichbar. Die Be- !
stnnung darüber ist sich klar, daß dies nicht Wirk-
lichkert ist, sondern von uns produzierte Begrisfe, ^
mit deren HÜfe wir alles individueil Wesenhafte als
Objekk für uns, als Maksrie denken können, die dre
Grundlage jeder Bearbeitung der Nakur zu mensch-
lichem Gebrauch ist. Wiederum dis Frage: sollen wir
nichk darauf verzichken und zurückkommen zur intui-
kiven Anschauung der Außenweit, in der sie uns als
zu Berehrsndes, als Mythos, oder als Mitzu-
eriebendes, ais Nakur entgegentritt. Dringend erhebt
sich auch hier dis Forderung nach Leben, nach Sesle,
ein Anti-Makerialismus, ein Kampf gegen die Ber-
sachiichung des Daseins. -
Aus: Kurrft und Knltur der Gegenwart von Richard tzamann
ZeichnLK ist sine Schnls des bewutzten Vevb--
achtens, das überall im Leben noiwendig ist und in
Missenschast unö Tschnik vielfach den Anstotz zu-
Entdeckungen von epochemachender Bedeukung gab.
Ais Kopernikus die Lehre von der Wanderung der
Erds unl die Sonne aufgestellt hatke, behaupkeken
dis Gegner, man mützte alsdann als Spiegelung der
Erdkreisung am Himmel umgekehrt verlaufende
Sternkreisungen, sogenannie Parallaxen, entdecksn.
Sie halken rechk. Diese Parallaren wurdcn auch ent-
pädagogische Psychologie. Allsin wie wenig ich auch
den Wert dieser Hilssmitiel unterschätze, wertooll
werden sie doch nur inl der Hand des Menschsn, der
eine nakürliche Begabung besitzt, in das Wesen
eines konkreken anderen Wesens sinzudringen,
es in seiner Totalität zu osrskehLN oder wenigstens
vorahnend zu erfassen. Hier ist won Haus aus eins
Ligenschafk nötig, wie sie auch dem Geschichtsschrei-
ber, dem Dramatiker, dem guten Aomanschriftsteller
eigen ist und die Fähigkeit des divinakocischcn, in-
kuikwen Erfassens einer Menschenseele aus den
Bruchskücken dsr Worke, Zandlungen, Gebärden,
kurz, der versinzelten Ausdrucksweisen des Men-
schen. . . . Mit den Regeln und Gesetzen allgemei-
ner empirischer Psycholsgie haben wir noch keinen
Schlüsie! zur einzigartigen indwiduellen Seels. Wir
können grosie Psyä)oiogen> sein und doch kann uns
elne destimmke Seelennatur dauernd ein Buch mit
7 Siegeln bleiben. Wir können umgskehrt keine
Ahnung von den subkilen Antersuchungen der pfycho-
logischen Wissenschafi haben und doch aus einer an-
geborenen E i n s ü h l u n g s f S h i g k e i k heraus,
die durch Ersahrung und Äbung gestärkt worden ist,
das Rätsel einer beskimmken Menschenseele lösen.
Aus: Gevrg Kerfchsnstsinsr! Die Seele deS
Lrziehsrs uird dasProblcm dsrLehrerbildmrg.
Berlag B. G. Leubnsr irr Lsrpzig.
GoLikund Renaisiancs. Die Gokik gibk ihr Raum-
gebilds ganz und gar wie im Werden begriffen.
Sie rechnek mik dem lebendigen Menschen darin, mit
seinsm Gang durch die strophisch gegliederke Wandel-
bahn, mik dem schweifenden Blick durch den Tastraum
unten und den Sehraum droben, bis hinauf in das
mimische Gebaren der steinernen Rippen, des Skab-
und Matzwerkes der Fenster im farbigen Dämmer-
schein untsr der Möibung. Deshaib hak man, nur
allzuschneil, die Formel geprägt: „Die Gotik ist lauter
Bewegung." Aber seit der zweiten Hälfte des
14. Iahrhunderks, nachdem die syskematische Durch-
bildung des Stils in Frankreich und den Nachbar-
ländern vollendek war, fängt die machtvolle Rhythmik
des Raumgebildes an, sich zu bsruhigen. ilntsr dem
Linflutz der oplischen Auffassung wird die Zegemonie
der motorischen Änteilnahme gemätzigk, inmitten des
bisherigen Bewegungszuges Gelegenheik zum Skiil-
stand der Schau eingeschaltet und der Bollzug deS
Ganzen verlangsamt. Die italienische Spätgotik ver-
einfacht und vergrößert dsn Strophenbau und gelangt
zur Weiträllmigkeit, in öer die Hereinziehung des
menschiichen Subjekks, unker Borherrschaft des
Schauens, sich wesenklich veränderk. Am Ende des
Ouakkrocenko skeht die Raumeinheik in ihrer ruhigeü
Gesetziichkeit dem Besuchsr ais objsktiv gegebener
Bestand gegsnüber und umschließt ihn mii der Sicher-
heit des Setns in seinem Stilistand. Bramante und
Lionardo haben die Gokik aufgehoben in die Renais-
sance. Die rhykhmischs Travtze wird in den Zenkral-
bau hereingenommen (St. Peter), die mimischs Aus-
führung aus lauter Ausdrucksbewegungen in der
Bildanschauung eines einzigen Momentes ausgebreitet
(Abendmahl). Die Vsrtreter des Bewegungsdranges
unter den ikalienischen Büdnern und Malerii des
15. Zahrhunderts (wie Botticeiio) sind allesamk nach-
geborene Söhne der Gotik oder vom Auskiang des
mokorischen Bedürfnisies durchdrungen. Selbs! die
Leidenschaft, mik der die Pecspektivs ergriffen wird,
ist ein Sympkom: es ist nur ein anderer Spielraum
für die gewohnte Rhythmik des Ausdruckslebsns, und
der Zug in die Tiefe löst alle Bestandteils der
Raumeinheit wieder in Werdsn auf. Der echke
Sohn der neuen Zeit lernt den festen Standpunkt
vor seinem Gegenstand innehaiken und gewöhnt sich
im eifrigen Abkonterfeien seines Modells an den
eigenen Stillstand. Es ist die plastische, auf das
substantiell Anschauliche gerichtets Sinnesart, die
wieder Lie Oberhand gewinnt, nicht mehr die Seels
als einzigen Merk aneckennk, sondern den Leib. Die
Einordnung des gezeichneten Körpers in den drer-
dimsnsionalen Raum zwingt ihn zur stersomekrischen
Sicherung deä Koordinatensystems. Sein Raum
mutz kristaiiinische Klarheit und Unverrückbarkeit
seiner Achsen besihen, wie die Zenkralperspekkioe ihn
konstruieri. Diese ReaÜsten suchen alle nich! mehr
das -zeikliche Geschehen, sondern den räumllchen Be-
stand, nicht mehr Bewegung, sondern Beharrung,
selbst im Festhalken des plastischen Motivs, das
bodenständige Dasein deä Menschen auf dieser Erde
isk das lehte Absehen der Aenaissance und verbindet
als Gemsinsames die Entwickiungsphassn dss Sküs,
wie es ihre Welkanschauung von der des Miktel-
aiters scheidet.
Aus: Gotik in der Renuiffctnce von A. Schmarsow.
Moderne Naturwrsienschaft. Moderns Natur-
wisienschaft, die längst auf dissen Namen hätke ver-
zichten solien und Objekt- oder Materialwisienschast
sich nennen sollke, da sie am gründlichsten die Wesen-
heiten der Nakur zu Materie, menschlich nicht mehr
zu erlebsndem, fondern nur Zu berechnendem Me-
chanismus umgedsutek hat, köket das Lebendigs simr-
licher Fülle unü das unmrtteibar Eindringliche der
nur intuikiv zu erlebsnden Natur,- sie bildet koke
Begrisfe daraus, letzkhin völlig wesenlose, nur noch
zahlenmäßig zu faffends quanfitative Teils, der
sinhaltslosigkeit des Geldes vergleichbar. Die Be- !
stnnung darüber ist sich klar, daß dies nicht Wirk-
lichkert ist, sondern von uns produzierte Begrisfe, ^
mit deren HÜfe wir alles individueil Wesenhafte als
Objekk für uns, als Maksrie denken können, die dre
Grundlage jeder Bearbeitung der Nakur zu mensch-
lichem Gebrauch ist. Wiederum dis Frage: sollen wir
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kiven Anschauung der Außenweit, in der sie uns als
zu Berehrsndes, als Mythos, oder als Mitzu-
eriebendes, ais Nakur entgegentritt. Dringend erhebt
sich auch hier dis Forderung nach Leben, nach Sesle,
ein Anti-Makerialismus, ein Kampf gegen die Ber-
sachiichung des Daseins. -
Aus: Kurrft und Knltur der Gegenwart von Richard tzamann
ZeichnLK ist sine Schnls des bewutzten Vevb--
achtens, das überall im Leben noiwendig ist und in
Missenschast unö Tschnik vielfach den Anstotz zu-
Entdeckungen von epochemachender Bedeukung gab.
Ais Kopernikus die Lehre von der Wanderung der
Erds unl die Sonne aufgestellt hatke, behaupkeken
dis Gegner, man mützte alsdann als Spiegelung der
Erdkreisung am Himmel umgekehrt verlaufende
Sternkreisungen, sogenannie Parallaxen, entdecksn.
Sie halken rechk. Diese Parallaren wurdcn auch ent-