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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 3.1923

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Heft 6 (November 1923)
DOI article:
Gutman, Emil: Die Harmonie der Formen, [1]: eine Buchbesprechung
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https://doi.org/10.11588/diglit.22197#0122

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120

2m Vorwork (S. V) stellt der Derfaffer mit Er-
staunen fesst „daß trohdem die Grundlagen einer
wiffenschaftlichen Formharmonik. nämlich die Geo-
metrie, der Menschheit seik einigen Iahrtausenden
zur Dcrfügung steht, dennoch das bisher Gelsisteke
nach Wert und Umfang nicht mehr betragt alS das,
was in der Farhharmonik vor Entdeckung der
Farbmessung bestanden, die bekannklich erst der
neuesten Zeit angehört." ES werfe disS ein sehr
deutlicheS Licht auf die Anfruchtbarkeit dessen, waS
man bisher Kunstwissenschafk genannt habe. Sie sei
vorwiegend eine Papierwlssenschaft, eine Scholastik
in typischer Ausprägung. Damit erkläre sich auch
die besinnungslose Mut, mit der flch deren Vertreter
mit wenigen Ausnahmen gegen die wissenschaftliche
Farbharmonik gewendet hätten und die ihn, als er
ste ,im Herbst 1919 zuerst erlebte, in ein grohes Er-
staunen sehte. Ostwalo erwartet von scinem neuen
Buch dieselben Gegenwirkungen wie damals: Tot-
schweigen, solange es geht, unbedingter Kampf, wenn
das nicht mshr hilst.

über den Znhalt der Arbeit gibt Seite VI Auskunsk.

- „Es handelt sich wieder um das Eindringen der
klaren Wiffsnschaft in ein bisher umnebeltes Gebiet
und um eine nsue Anwendung desselben ästhekischen
Hauptsatzes, welcher der Farbharmonik zugrunde
liegt, und der sich durch dis Gleichung darstellen läßt:
Gesetzlichkeit - Harmonie. Auch in der Welt der For-
men kann man die grundsähliche Frage stellen und
beantworten: welches flnd die einfachsten gesehlichen
Formen? Und man kann durch den psychologischen
Dersuch feststellen, dah diessn auch der erste und
allgemeinsis schänheitliche Wert zukommk."

An bewußten Borarbeitern will Ostwald keinen
gefunden haben, weil niemand die Frage in voller
Allgemeinheit für beantwortbar gehalken zu haben
scheine. Bon denen, die fie gelegentlich gestreift
haben, nennt er nur Gottfried Semper, dessen
Lösungsversuch er als dergestälk „an begrifflicher
Unklarheit letdend" bezeichnet, „daß er bis heute zu
einer geordneken Formenlehre nicht geführk hat."

Daß seine Arbeik mit der Formenmystik nach Ark
des Goldenen Schnittes von Zeising nicht das
geringste zu tun hat, stellt O st w a l d mit einer
Selbstverständlichkeit fest, in der man fast eine
geringschähige Geste sehen könnte. Die anscheinend
ziemlich ausgedehnte Literakur hierüber habe er nur
teilweise kennengelernk, doch genügend, um sich von
der Unbrauchbarkeit für seinsn Zweck haben über-
zeugen zu KLnnen. Nur eine Schrift von C. A. von
Drach: „Das Hüttengeheimnis vom gerechten Stein-
metzen-Grund in seiner Enkvicklung und Bedeutung
füc die kirchliche Baukunst des Mittelalters", Mar-
burg 1897, habs flch als gesund erwiesen, da sie den
wissenschafklich ausreichenden Nächweis der geome-
krischen Konstrukttonen, durch welche die Teile der
Kirchen in gLsehlichem Zusammenhang hergestellt
wurden, enthalte.

Beoor wir zu Znhaik und Mekhode des O stwa l d-
schen Formenorganisisrungsversuchs übergehen, dürfts
es sich vielleicht empfehlen, zu dieser grundsühlichen
Einstellung des Berfassers dem Formproblem gegen-
über einige Bemerkungen zu machen.

Es ist zweifelios bis zu einem gewissen Erade
richkig, was Ostwald über die moderne Kunstwissen-

schaft sagk. Bei der Erklärang von Kunstwerken hat
sich die Kunstwissenschas! bisher meist mit der Aus-
legung und Ausdeukung des ferkigen Werkes, der
objektiven Form in deren allseikigen Beziehungen
begnügt. 2n jedem vom Menschen gestalteten mate-
riellen Werk ader veranschauiichen sich sichtbar gs-
wordens Formvorstellungen, weiche der Künstler oder
Gestalker mittels mehr oder weniger langer und um-
fangreicher BorstellungSreihen gewonnen hat, und
die sich in dem der Körperwelt enknommenen Ma-
terial vergegenständlichen. Den geistigen Prozeß,
der somit in jedein Kunstwerk, in jeüer Form a!s
Ergebnis der gsstaltenden geistigen Tätigkeit des
Formschaffenden enthalten ist, und den Inhalt dieses
Prozesses roird man aber nur verstehen können, wenn
man die ganze Borstellungsreihe, deren Endergebnis
die ferkige Form ist, vollkommen überflehk, also einen
Einblick in das Wesen des geistigen, Gestaltungs-
vorgakgs, kn das Prinzip des Merdens der dem
Merk oder der Form zugrundeliegenden 3 dee zu
gewinnen versucht. Dem lebendigen Borstellungs-
gang fällt also die Haupkbedeukung für das restlose
Berständnis eines Kunstwerkes oder einer künst-
lerischen Form zu: Vas ästhekische Bersiändnis kann
sich erst aufschließsn, wenn ss gelingt, diesen Enk-
wicklungsgang nachzu erleben. Die auch der ein-
fachen Form zugrundeliegende 3 dee, ihren lebendig-
geistigen Gehalt auszuschließen, wie es Ostwald
der „Organisierung" der Formenwelt zuliebe tun
wiil, bedeuket für die schöpferische Seite des Pro-
blems katsächlich — wie Äakter sagk — „den
Tod". Für die abstrakt-wissenschaftliche Behandlung
mag dis Ostwaldsche Methode ihre Bedeutung un-
verkleinert behaiken.

Bei einem Urkeil über die moderne Kunstwissen-
schaft muh aber auch bedacht werden, daß bereits
recht merkbare Ansätzs zu einer Betrachkungsweise
des Kunstwerks im Sinns der Enkwicklung und
Nacherlebung der ihm zugrundeliegenden Borstellun-
gen und Borstsllungsreihen vorhanden sind. Die
Gesetzs des künsklerischen Borstellens und Gestalkens
sind zwar, weil Begriffe nach Begrenzung drängen,
Borskellungen aber unbegrenzt sind, in Worte nichk
leicht fahbar, aber zu ihren Grundlagen wird man
doch gelangen können. Allerdings glauben wir kaum,
daß dies mik den Mekhoden der exakten Missenschaft
allein möglich sein wird, sondern daß wir unä dabei
des Weges dsr lsbendigen Anschauung werden
mit bedienen müssen, der uns in Eebieten, wo es sich
um Äußerungen des menschlichen Empfindungslebens
handelt, ln erster Linie zu führen vermag.

ledenfalls sinü bereits Berfuche am Werk, das
lebenöige Gestalkungsprinzip in seiner
allgemeinen Form auszudecken und zwar in der Aich-
kung, daß Leben als Bewegung aufgefaßt
und das künstlerische Problem dermo-
dernen, allgemeinsn, einheitltchen
Bewegungslehre glerchfalls einge-
ordnek wird. Damit wäre das scheinbar Un-
mögliche, Leben und lebendige Borskellungen in Be-
griffe zu fassen, zu einem Teile wenigstens möglich
gemacht.

Das Entscheidende bei dieser neuarkigsn Bekrach-
kungsweise des Kunskwerks und des Formproblems,
dis das Haupkgewicht auf die Auffindung des
 
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