Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

DOI Heft:
Dräxler, Manfred: Antonio Gasperoni
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0009

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Antonio Gasperoni.
Eine Räubergeschichte
von
Dräxler - M a n fr e d.

Ich war in Terracina angekommen und trällerte eine
Horazische Ode nach einer Melodie ans Fra Diavolo. In
der Osteria fehlte cs an Speisen, wie in allen Gast-
häusern auf dieser Route; ich forderte den Wirth auf,
mir wenigstens ein Paar Räubergeschichten statt einer
Mahlzeit aufzutischen; aber sein Kopf war so leer wie
seine Küche; er wußte nichts zu erzählen, weil sich nichts
begeben hatte. Wie, dachte ich bei mir, die prosaische
Sicherheit ist also auch in diesem Gebiete eingekehrt;
man kann hier spazieren gehen wie auf den Promenaden
einer deutschen Stadt, die Börse in der Hand, ohne auf
eine Pistole zu stoßen, die sie uns abvcrlangt? Fra
Diavolo ist also ohne Nachkommenschaft gestorben? So
verschwinden die großen Dynastien! Was soll ans den
armen Engländern werden, von denen ehedem die Ban-
diten in den pontinischen Sümpfen mehr Geld erhielten
als die Austrocknung dieser gekostet haben würde! Die
Engländer, die auf tragische Emotionen einer italieni-
schen Reise rechnen und in ihrem Reisebudget Posten
für Raub und Plünderung anzusctzen gewohnt sind. Der
heilige Vater hat dafür gesorgt, daß Gattinnen und
Töchter auf der Appianischcn Straße keine Ohnmächten
mehr erleiden! die päpstlichen Dragoner haben mit den
Säbeln exorcisirt und die Sünder in den Schluchten und
auf den Bergen haben sich zur Osterzcit bekehrt. Was
soll da aus den Leuten werden, die sich in ihrem wohl-
bewaffneten Reisewagen starke Gemütsbewegungen ver-
sprochen haben?
Sie müssen sich eben derlei Vergnügungen selbst vor-
bereiten, wie erst jüngst ein Lord S. gethan haben soll.
Nach dem mageren Schattenspiele eines Soupers zu
Terracina schickte er zwei Reitknechte des Weges voraus,
nachdem er sie als Banditen verkleidet, wie solche auf
dem Theater erscheinen. Mitten auf dem Wege nach
Rom wird er von seinen eigenen Leuten angehalten, die
eben nicht mehr als die fünf italienischen Worte gelernt,
die zu einer solchen Scene erforderlich waren. An zwan-
zig blinde Pistolenschüsse wurden gewechselt, als unglück-
licherweise ein Pistol Seiner Herrlichkeit, aus welchem die
Kugel auszuziehen vergessen worden, den einen Reitknecht
in den Schenkel verwundete, über welche tragische Wen-
dung der andere so sehr in Schreck gcrieth, daß er sich in einen

pontinischen Sumpf stürzte, um schwimmend zu entkommen,
und sicherlich ertrunken wäre, wenn nicht eine päpstliche Pa-
trouille erschien, die ihm das Leben rettete, um ihn dar-
auf zu erschießen. Der edle Lord eilte nun den Drago-
nern entgegen und erklärte ihnen in englischer Sprache
seinen Witz; aber der Brigadier, der kein Englisch ver-
stand, konnte nicht begreifen, wie ein Reisender sich so
lebhaft um gefangene Räuber, die ihn angegriffen, an-
nehme, witterte Einverständniß und ließ den guten Lord
sofort binden, der hierauf mit dem verwundeten und mit
dem geretteten Reitknecht in ein Gefängniß gebracht und
von zwei Mann bewacht wurde. Am andern Morgen
schrieb der Engländer an seinen Gesandten und zugleich
an den Generalpolizcikommissär, Cardinal Somaglia.
Der erstere war zufällig abwesend, der letztere aber, ein
großer Freund der Söhne Großbrittaniens, legte die
Sache gütlich bei, d.h. er ließ den reisenden Lord einen
ansehnlichen freiwilligen Beitrag zu den Geldgaben, wor-
aus Thorwaldsens kolossale Statue des heiligen Paul
bestritten werden sollte, bezahlen. Der Reitknecht mußte
amputirt werden.
So sind die pontinischen Sümpfe gesäubert, und
ebenso ist es auf der Seite von Viterbo her; Faulenzer
und Bettler die Menge, die sich vor Jedem, der Miene
macht, ihnen einen Bajocch zu schenken, in den Staub
werfen — aber ein Rcisewagcn gelangt in aller Ruhe
und Sicherheit durch Wälder und über Berge, die ehe-
dem blutige Schauplätze waren und ein wahrhaft klasti-
sches Terrain für Raub und Mord scheinen, nach Non-
ciglione und stößt auf keine Spur von Verbrechen.
Ich stand im Begriff, Italien zu verlassen — und
hatte keinen Räuber gesehen; es war dies für mich ein
ausgestorbcnes Geschlecht, eine verschwundene Mythe.
Und doch war es mir anfgespart, den letzten der Bandi-
ten, wie Cooper den letzten Mohieaner zu schauen.
Wir saßen in Civitavecchia an der Tnble d'hote und
jeder plauderte, um seinen Appetit zu täuschen. Wenn
wir zu essen verlangten, so entschuldigte sich der Wirth,
daß fünfzehn englische Familien in sein Haus eingefallen
und alles in Beschlag genommen; als ich nach einer
Stube fragte, hieß cs, ein englischer Admiral habe so eben


III. I.
 
Annotationen