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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Cramer, Carl: Fleisch und Knochen
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Sancta Irena
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0200

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152

„Was thut das," erwiederte ich, „liegen muß ich für'S Erste
doch einmal, und dann werde ich dafür auch ein neues und hof-
fentlich solides Knochengestell bekommen. Uebrigens werde ich
den Prozeß schon zu beschleunigen wissen, indem ich meinem Chy-
lus den betreffenden phosphorsauren Kalk zuführe. Von heute
an fresse ich nichts wie Eierschalen und Zündhölzchen. Zum Besten
schmecken mag es freilich nicht, aber ehe ich mir einen solchen
Despotismus länger gefallen lasse, thue ich lieber das Aeußerste."
Mein Gerippe war wie aus den Wolken gefallen, als es sich
so wie eine Dienstmagd gekündigt und vor die Thüre gesetzt sah.
Als es sich von seinem Erstaunen etwas erholt hatte, wollte es
Sturm laufen und rannte auf mein Bett zu. Ehe es dasselbe aber
erreichte, hob ich den dynamisch-magnetischen Rapport zwischen
seinen Knochen und meinen Muskeln auf, indem ich letzteren
commandirte: „Laßt los!!!" Im selben Augenblicke knickte das
Knochengestell wie ein Taschenmesser in Knieen und Leisten zu-
sammen und siel rasselnd auf den Rückgrat, wobei der Hirnschädel
so heftig aufsprang, daß er beinahe zu zerschmettern drohte.
„Nun, Männchen," fragte ich, setzt meinerseits spottend,
„wie schmeckt das? — Antworte immerhin. Das Maulwerk will
ich Dir lassen, das schadet nichts. Die Erfahrung habe ich auch
schon an verschiedenen Herren vom Handlungshaus Gotha ge-
macht, welche die Stelle im Faust: „Das Wort kann ich so
h ochunmöglich schätz e n u. s. w., noch immer nicht begrei-
fen, trotzdem, daß es Ihnen der Minister Manteuffel stündlich
all lwminem demonstrirte, indem er sie bei jeder Gelegenheit
auf's Maul schlug!"
Mein Gerippe war auf einmal willfährig geworden und trug
den Umständen Rechnung. Es flehte und jammerte, ich möchte
es doch nicht elend verderben lassen, von nun an wolle es sich an
die Spitze aller meiner Bewegungen stellen. Vorab bat cs um
die gefällige Beihülfe meiner Muskeln.

„Ehe ich Dir mit meinen Muskeln helfe, hilf mir durch den
dynamischen Rapport Deiner Knochen!"
Es geschah also. — Ich erhob mich. Zwar bogen sich meine
Beine etwas säbelförmig, trugen mich aber doch. Ich näherte
mich dem Gerippe, band ihm Hände und Füße zusammen und
hing es mir dann, wie ein Kalb um die Schultern; dann sagte
ich: „In dem Punkte soll der Hoffmann mindestens Recht behal-
ten, daß jeder Mensch sein Gerippe mit sich herum trägt."
Um es noch mehr zu ängstigen, fügte ich hinzu: „Und was
hält mich ab, daß ich nicht auch das Todtengerippe zur Wahrheit
mache und Dich im nahen Sumpfe ersäufe?"
Dieser Uebermuth kam mir theuer zu stehen. So demüthig
es sich bis dahin Verhalten hatte, jetzt hob es den dynamisch-mag-
netischen Rapport zwischen Fleisch und Knochen wieder auf, und
wie ein leerer Sack fiel ich zusammen und das Gerippe oben darauf,
und so lagen wir alle beide hülflos am Boden.
Endlich schloffen wir Frieden. Ich gestattete ihm den Einzug,
dagegen verschwor cs auf immer den Auszug. Dann legten wir
uns Beide zu Bette.
Am andern Morgen war Alles wieder in Ordnung. Zwar
bemerkte ich zu meinem Schrecken, daß der Esel von Arzt wieder
Eis aufgelegt hatte, doch bestand mein Gerippe diese Probe auf
das Beste.
Der -Arzt aber warf an diesem Tage zu meinem großen Leid-
wesen den Hoffmann zum Fenster hinaus, und ließ den Frühling
herein. Sein Kuß heilte mich schnell, so daß ich ihm bald meinen
Gegenbesuch abstatten konnte.
Mein Gerippe aber hielt seinen Schwur treuer, als man
dieses sonst von einem verknöcherten Conservativen gewohnt ist,
und gab mir seitdem nie mehr Ursache zur Klage, so daß wir noch
immer in der besten Eintracht leben.

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8 rt n e t a Ire»«.

Cypern war einst bei den venezianischen Patriziern sehr beliebt,
nicht allein weil diese Insel so schön, sondern auch weil der Men-
schenschlag ein höchst anziehender ist: der orientalische und christ-
liche (occidentalische) Typus scheinen sich brüderlich in beiden
Geschlechtern zu vereinen. Die Männer sind erfinderisch und zu-
gleich leicht erregbar, gleich den Franken, ihren ehemaligen Gebie-
tern, die Weiber sind blendend weiß wie die Töchter des Occidents
oder vielmehr wie Venus, wenn sie, kaum den Wellen entstiegen,
an dem Perlenstrande ihre triefenden Flechten trocknet, um sich
dann auszuruhen unter dem Schatten der Ruinen eines weiß-
marmornen Tempels.
Der Wind dieser Berge berauscht wie ihr glühender Wein,
die Natur enthüllt solch' reizende Pracht, daß der Mensch, von
ihrem zauberischen Anblick überwältigt, unfähig ist eines energi-
schen Gedankens, die Luft zieht gleich einem Gifte durch die Adern
— und darum fühlten auch die letzten Kreuzfahrer hier ihre
Cürasse oft zu drückend.

Als es von den Königen französischen Ursprungs an Venedig
kam, erlebte Cypern seine glücklichen Tage. Es war der begün-
stigte Aufenthalt der ersten venezianischen Familien, die durch
ihren Reichthum und ihre Macht den Fürsten gleich standen und
in geistiger und gesellschaftlicher Beziehung als Muster gelten
konnten. Für sie, die den Sitten des unter der Lehenherrschaft
schmachtenden Europas sremd waren und fast in gleichem Maße
als Heiden und Philosophen gelten konnten, wie sie Leute von
dem feinsten Geschmacks, raffinirt in geistigen und sinnlichen Ver-
gnügungen waren, für sie war Cypern ein wahres Paradies.
Wir führen den Leser in ein kühles Thal, das nahe dem Meere
liegt. Eine Hügelreihe nur trennt es von demselben, um es gleich
einem Damme Vor seiner Wuth zu schützen ; wenn gleich das Meer
selbst dadurch den Blicken entzogen ist, so weht doch der frftche,
von den Wogen der See gekühlte „Greco" herein und schüttelt
sanft die alten Kronen der beblühten und befruchteten Bäume.
Schon Virgil besang dieses Thal, es ist das von Zdalia.
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