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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Sprecher, Andr. von: Ein Szeklerknabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0045

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Ein Sze kl er Knabe.
Novelle
von
Andr. von Sprecher.

I. Stillleben.
Im nordöstlichen Gebiete des siebenbürgischen Szck-
lcrlaudes, mitten in uralten stillen Wäldern, stand eine
Hirtenwohnung. Eine ältliche Frau lag in dem Zimmer
auf dem Sterbebette; neben ihr kniete der einzige Sohn,
ein Knabe von kaum vierzehn Jahren.
„Mutter, thcuerste Mutter, o lass'mich nicht allein!"
rief er schluchzend. Dem Vater haben wir erst jüngst
sein Grab gegraben; jetzt sollst auch du von mir genom-
men werden!"
„Gyulcsi, Dir leben Vater und Mutter im Himmel,
an Nahrung und Schutz wird es Dir nimmer fehlen.
Gottes Engel werden um Dich fein, und Dich begleiten
auf allen Deinen Wegen. Bleibe nur ein wackerer, treuer
Szeklerknabe, fürchte Gott mehr als die Menschen, und
liebe Dein Vaterland über Alles!"
„Beim Himmel, das will ich, gute Mutter!"
„Wenn ich nicht mehr werde bei Dir sein, so gehe
in's Thal hinab, suche einen Edelhof auf und einen
Dienst. Du kannst nicht allein bleiben im Walde."
Die Frau schloß ihre Augen, und redete nicht mehr.
Als der Knabe Gyula'>-) sich überzeugt hatte, daß seine
Mutter gestorben, weinte er zwei Tage über ihrem Lager
und machte ihr dann ein Grab unter einer hohen Tanne
neben dem Grabe, in welchem sein Vater ruhte.
„Jetzt hab' ich nur Thränen," rief er, „sie auf Eure
Gräber zu gießen. Wann aber der Frühling kommt,
wird er Primeln darauf streuen und die Vögel auf dem
Baume versammeln, Euch schöne Lieder zu singen."
Darauf schloß er fein Haus und nahm nichts mit
sich, als seines Vaters Flinte, ein wenig Mundvorrath,
wenig Kleider und die paar Gulden, die er besaß. Auch
die Bibel, die seine Mutter, welche eine Unitarierin ge-
wesen, ihn lesen gelehrt, vergaß er nicht.
Sein Hund, Török, von jener großen, wolfartigcn
weißen Rasse, welche Siebenbürgen und Ungarn allein
angehört, sprang vor ihm her. Gyula wanderte durch
i den tiefen Schnee den Bächen nach und kam dann in's
> obere Maroschthal. Manches Wild sprang an ihm vor-
über, er achtete es kaum; uoch lagerte tiefe Trauer auf

*) Sprich: Djuls, das a wic unser o in „Glockc".


seiner Seele. Nachts grub er sich in den Schnee ein
und deckte sich mit dem Szür, dem kurzen, grauen Filz-
mäntelchen zu und schlief ruhig ein, der Bären und
Wölfe vergessend, welche in den ungeheuren Wäldern
jenes Landes zahlreich Hausen.
Am andern Tage um Mittagszeit begegnete ihm ein
hochgewachsener, brauner Mann, den Gyula anstarrte,
während Jener mit seinen Wasserstiefeln durch den hier
noch seichten Fluß watete.
„Das ist," sagte er zu sich, gewiß einer von jenen
Riesen, von denen mir Mümi (Mutter) erzählt hat. Mich
wundert, wie groß sein Vater war!"
Der Fremde war mittlerweile über den Fluß gekom-
men, und sah nun Gyula stehen. „He," rief er ihm zu,
„Knäbchen, wohin des Weges?"
„Seid Ihr ein Christ?" fragte Gyula mißtrauisch.
„Du, Naseweis, was geht das Dich an?" antwortete
der große Mann. „Was bist Du für ein Menschenkind?
Woher kommst Du?" „Fürwahr," murmelte er, „ein
bildschöner Bube!"
„Wenn das, was Ihr in den Bart murmelt, ein
Zauberspruch ist, so nützt es Euch nichts. Da hab' ich
eine Bibel."
„Hast Du? Das ist brav von Dir. Aber jetzt ant-
worte mir, wer Du bist; woher?"
„Kender Gyula heiß' ich, bin vom Waldhaus oben.
Ihr wißt, im Fuchs winkel."
„Nein, den kenn' ich nicht. Muß kurios dort aus-
sehen. Wohin willst Du?"
„Das weiß ich ja selbst nicht, großer Mann! Möchte
was verdienen gehen."
„Da kann Rath werden. Gleich jetzt lad' den Bock
da auf Deine Schultern und komme mit mir. Bah, sei
kein Narr, ich fresse Dich nicht! Ich bin ein nsmes
6mbot- '*) (Edelmann), wenn Du weißt, was das bedeutet."
„Ist, was Ihr sagt, wahr, so darf ich Euch den
Bock wohl tragen. Ich bin auch ein nomes emder,"
„Um so besser für Dich! Da, lad' ihn auf — und
jetzt: Marsch!"
Der Fremde führte Gyula etwa zwei Stunden weit
auf einen Edelhof, der außer dem großen Herrenhause

") Sprich: Nämesch ärubär.


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