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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Münzer, Reginald: Eine Pfingstfahrt auf dem Genfer See
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Buntes / Gedichte / Literarische Besprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0136

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98

wartete uns die hohe sardinische Polizeibehörde in der Gestalt
eines kleinen, runden Gendarmen mit dreieckigem, silberbordirtem
Hute und der dreifarbigen italienischen Kokarde (weiß, roth, grün).
Einige lose Vögel hatten unter den Passagieren das Gerücht ver-
breitet: es seien die letzten Tage strenge Polizeimaaßregeln ange-
ordnet worden, und wer keine Ausweispapiere habe, dürfe nicht
das savohische Ufer betreten. Wie klopfte das Herz so Manchem,
der bei sich beschlossen hatte, einige Thaler dran zu rücken und
entweder solche dem Nimmersatten Croupier ohne Groll und
Rachegedanken zu überlassen, oder aber mit dem tanzenden Hazard
zu ringen, ihn zum Stehen zu nöthigen, zu bannen und ihm
einige Hundert der Goldgulden wieder abzutrotzen, die man wohl
früher schop an anderer Stelle zurückzulassen das Unglück gehabt
hatte. An dem Dreimaster des Sicherheitsaufsehers schienen die
Zukunftspläne für einen Augenblick zu scheitern; doch auch nur
für einen Augenblick; denn es war dieser Gendarm nicht nur die
Vollendete Höflichkeit selbst, sondern sein ganzes Wesen war der
ausgebildetste Gegensatz zu den ladstockähnlichen, wachstuben-
durchdampften und kupfergerötheten Gestalten seiner Collegen in
diesen und anderen Landen. Als unsere Caravane sich ihm nahte,
lüftete er seinen Dreizack und zeigte in vollem Pfingstsonnenglanz

ein faunenartiges, joviales Gesichtlein, das gar freundlich schmun-
zelte, und das wenigstens für den heutigen Festtag alles Riechen
und Wittern nach Uebelthätern, Bösewichtern und Mazzinisten
bei Seite gelegt zu haben schien. Sein Rücken bog und hob sich
unaufhörlich; seinen Hut schwenkte er zierlich wie ein Kapellmei-
' sier seinen Stab im schmelzendsten Adagio, und es schien, als habe
er nur einen Kummer, den, nicht jedem Einzelnen unter uns sei-
nen Separatgruß entbieten zu können. Ich war schon weit vom
Landungsplätze entfernt, als ich mich noch einmal umsah und den
Guten noch beschäftigt erblickte, einigen Nachzüglern seine Em-
pfangsgrüße zuzuschwenken. „Seid umschlungen Millionen, die-
sen Kuß der ganzenWelt," so schien dieser zartbesaitete alte Kriegs-
knecht uns entgegen zu lispeln. Auch die Zöllner verhielten sick-
anständig; sie saßen in Zremäo kenne auf ihrer Bank vor dem
Zollhaus und hatten eine Flasche Wein zur Seite stehen. Ruhig
ließen sie Körbe, Jagdtaschen, Reisesäcke an sich vorbei passiren.
Es schien ein wahrer Gottesfrieden auf der Landschaft zu liegen,
und nur ein kleiner bouteillengrüner Apotheker sah wie ein Land-
i friedenbrecher aus dem Fenster seiner Mirturbrauerei und schien
! auf Störung der Sabbathruhe zu sinnen.
(Schluß folgt im nächsten Heft.)


Buntes

(Zur Beruhigung.) Daß ein Mensch lebendig begraben
sei, schließt man bekanntlich vorzugsweise ans den Tönen, die man
aus dem Grabe vernommen, und ans der veränderten Stellung des
Körpers des Beerdigten. Interessant sind in dieser Beziehung die
Mittheilnngen Devergie's über die Veränderungen der Leichen in
der Morgue zu Paris. Durch die Gasentwicklung schwillt der Körper
nicht blos auf, sandern er verändert auch bisweilen die Lage einzelner
Glieder, ja es sind dadurch schon Leichen in der Morgue von dem
Tische gefallen, wenn sie nicht angebunden waren. Es ist schon oft
vorgekommen, daß Leute voll Schreck zu dem Aufseher der Morgue
gelaufen kamen und ankiindigten, eine der ausgestellten Leicheu sei
noch lebendig, denn sic habe den Fuß oder den Arm bewegt. Die
Gasentwicklung ist sogar so stark, daß die aufgetriebene Haut platzt
und das Gas mit lautem Knall hervordriugt, was dann die aufge-
regte Phantasie für ein Schreien und Rufen nahm, und wenn nun
beim Wiederanfgraben des Sarges dieser in Folge der starken Gas-
entwicklung auseinander getrieben, die Lage der Leiche verändert und
in der Haut ein Niß oder irgend eine Verletzung gefunden wurde,
so war das Mährchen fertig: "Der Unglückliche hatte mit übermensch-
licher Kraft den Sarg zersprengt, hatte sich herumgewälzt, gerufen und
sein eigenes Fleisch zerfetzt."

(Ein Lapsus.) In einem Artikel über die Zukunft der "Tür-
kenherrschaft" sagt --eine (von der Redaction der Allg. Zeitung so be-
zeichnete) der ersten Autoritäten in Sachen des Orients, seiner Litera-
tur und Geschichte" (doch nicht Hammer-Pnrgstall?) in einem Passus
über den Verfall der Türkei: "Sogar der Mord der männlichen
Nachkommen an Paschas vermählter Sultanstöchter besteht noch wie
sonst, keine derselben hat ein männliches Kind, alle werden nach der
Geburt wie vor derselben aus den: Weg geräumt!" (A. Z. Nr. 140
vom 20. Mai.) — Mau erlaubt sich, bescheiden anzufragen, woran
man denn in Stambnl die männlichen Nachkommen der Sultans-
töchter als solche vor ihrer Geburt schon erkennt? — Die
„erste Autorität", der dieser Lapsus Passirt, möge die Antwort darauf
nicht schuldig bleibeu! L. S.
(Zur Charakteristik der Franzosen.) Ein geistreicher
französischer Schriftsteller, Cnvillier Fleury, sagt über seine Landsleute
ein wahres, treffendes Wort: „Das erste Bedürfnis; Frankreichs ist,
regiert zu werden. Aber so bald dieses erste Bedürfnis; befriedigt ist,
empfindet Frankreich auch schon das andere: die Regierung, die es
hat, zu bekämpfen und zu schwächen. Michel Chevalier erläutert
denselben Gedanken so: „Der Franzose muß immer den Ellenbogen
seines Nachbars an dem sinnigen fühlen, wie in Reih' und Glied."
 
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