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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Niendorf, Emma: Ein Besuch bei George Sand und bei Heine
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0238

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186

Ein Besuch bei George Sand und bei Heine.
Von Emma Niendorf.

Ich habe wich lang von Georges Sand genährt, und zuletzt ge-
meint, ein Recht auf sie zu haben. Man verdammt oder vergöttert
sie Lei uns blos nach den Jugendschlachten ihres Genius. Zwischen
ihnen nnd späteren Werken liegen Menschenleben. Ich bin ihr gefolgt
von Lelia und Spiridivn, vom Teverino bis zur Fadette — von der
Leidenschaft zur Mystik, von Kunstbegeisterung bis zum Quell der
Naturpoesie, in der sie ruht: wie Einer, der von Stadt zu Stadt
gereist, Paläste und Kirchen durchwandert, endlich sich ein Fischerdach
baut am Meere oder eine Sennhütte auf den Alpen, „lms maitros
svnnours" das Letzte, was aus dieser Luft zu mir gedrungen, nachdem
„lUoiU-reveobe" und „lls lllleulo", ohne in einzelnen Strichen den
Meister zu verläugnen, wie manches Frühere zwischen hinein, doch
nur momentane Zugeständnisse an das Feuilleton. „Sie lebt in ihrem
Berry," hörte ich, wo die Landleute sie sehr lieben, und kommt nur
allenfalls her, wenn man ein neues Stück von ihr gibt. Es ist ihr
Wohl dort, fern von dem Treiben. Sie hassen sie Alle hier, weil sie
sie beneiden, weil sie so hoch über Allen steht. Die Männer verfolgen
sie, aber noch mehr die Frauen!
Im 6; muaso begannen die Proben vom „llrossoir ich erfuhr,
daß man die Verfasserin für wenige Tage erwarte. Ich schrieb einen
Bries an sie — er mag ihr sehr jung erschienen sein. Die Leute
hatten mir schon vor Jahren so ost gesagt, meine Augen gleichen
denen der Dudevant, daß ich, transcendent wie ich bin, in meiner
Ucbersckwänglichkeit glaubte, sie müsse sich in dem heimathlichen Spie-
gel erkennen und nur alsbald um den Hals fallen. Eine Herzens-
geschichte für mich dieser Gang in die ruo Uacino. Kurze, stille,
reinliche Straße, welche auf den Odeonplatz mündet. Nr. 4 hat mir
der Nedacteur vom Lioclo bezeichnet. Ich liebäugle mit allen Fen-
stern, offenen oder zugezogenen Vorhängen, trete zur Concierge; sie
geht alle ihre Jooalairos" durch: nur zwei Frauen, „les propriölairos."
Ich nehme meine Zuflucht in den angrenzenden Schneiderladen, wo
Weib und Mann alte Kleider wieder neu machen. „Usclamo 8aucl?
das ist gegenüber Nr. 3." — Die Zahl ist mir immer bedeutsam
in Paris gewesen. Ich eile hin. „iUsclamo viont cis sortir, il a
guolgues minutes souloment. Kilo a laut cl'atkaires." — Ich frage,
ob ich von ihren Leuten Jemand sprechen könne. „Oui, son clomosUguo
ost cm baut; au soooncl, ä Aauelio." — Ich steige die enge Wendel-
treppe hinauf, alles im Hause ist schmuck, aber auf die kleinsten Di-
mensionen zurückgeführt. Ich klingle, ein Bursche in Blvuse —
paz'san clu Lerr^ — öffnet die schmale Thüre, ein so blühendes gut-
müthiges Gesicht, so recht Natur und Wohlwollen, daß man auf-
athmet, nur hineinzuschauen. Wie.der Herr, so der Diener. Ich war
mitten in der „maro au cliablv." Treuherzig gibt er mir Bescheid:
Madame sei eben ausgegangen, komme aber heute bald heim; sie habe
es für mich hinterlassen; ich möge etwas verweilen oder bald wieder-
kommen. ,,/^ll blaclamo a taut ü'allrüies clopuis cpiollo ost ioi ces
guolguos jours; toujours «los röpötitions oto.; ello no s'ost jamais
eouoböo avant guatro llouros Io matin .... la nouvollo pieco clo
lklaclamo — o'ost un suocos immense." — Durch eine Thüre im
Gange schaue ich aus eine großblumige spanische Wand; vermnthlich
ihr Schlafgemach, bin hochfroh, nur einstweilen mit der spanischen
Wand Bekanntschaft gemacht zu haben.
Als ich wiederkehrte, fragte mich ein junger, sehr hübscher Mann
mit feinen Zügen, in denen ich ihren Sohn Maurice zu erkennen
meinte: ob ich Madame Sand besuchen wolle? und geleitete mich in
einen Salon in verjüngtem Maßftabe, eine Halbrotunde, deren Fen-
ster mit grünem Vorhänge nach dem Hofe gingen. Nach einigen!
*) Vcrgl. da« zehnte Heft S- 166.

Augenblicken erschien die Blouse, bat ein wenig zu warten, Madame
sei eben zurückgekommen; sobald sie angekleidet, würde ich sie sehen.
Mir hämmert das Herz. Da sitze ich bei Georges Sand auf dem
Divan am Kamin, unter den Füßen ein Teppich niit Hellen Arabes-
ken, der bescheidene Raum so traut, vor Allem so pünktlich, wie
ausgeblasen. An den hvlzfarbenen Wänden Daguerreotype, ein Paar-
Lithographien, ein runder Filzhut mit rother Feder, Fischernetz, Modell
eines Bootes, Relief von Gebirgen, Strohgeflechte, der Form nach
etwa von Insulanern, z. B. ein Bogen, eine Mandoline. Auf dem
Tischlein mit grünem Teppiche ein ganz kleines Schreibzeug von
weißem Porzellan, daneben ein Schirmchen von naturfarbner Seide.
Diese zwei Gegenstände waren mir das Reizendste im Gemache, das
einen Charakter von Mäßigkeit und Ruhe hatte, und doch gewisse
schlichte Anmuth, vor Allem anspruchslos; etwas sehr Vernünftiges.
Es wehte Landluft darin mitten in Paris. „Gummiere" im ange-
nehmsten Sinne. Die Einfachheit von Jemand, der nichts Ucber-
flüsstges brauchen kann in seine Gedankenwelt hinein. So glaubte
ich im Sohne die Mutter zu erkennen. Vermnthlich seine Stube, die
ihr zugleich als Salon dient.
Thüren gehen, ich höre leichte rasche Schritte. Sie kommt herein,
viel.kleiner als ich gedacht, doch nicht sehr stark, die kurze untersetzte
Gestalt älterer Französinnen. Alle Bilder von ihr sind zu kolossal,
zu pathetisch. Sie sieht weiblicher aus. Dunkle große Augen, aber
bleich, trauernd. Ernst nnd Ruhe im Wesen, vollkommen schlicht und
natürlich. Ganz bekannt, als hätte ich sie schon hundertmal gesehen.
Das geschieht uns immer mit dem Genius. Vor lauter Heimathlich-
keit erscheint er uns fast alltäglich. — Emerson und die Bilder von
Raphael fallen mir ein. Auf den glattgescheitelten Haaren trug sic
ein schwarzes Schleiertüchlein. Den graugrünen Damast des Gewan-
des mit etwas groteskem Rococo - Dessin verziert schwarzer Sammt.
Sie findet sich verdrießlich, abgehetzt, „llarclonuer: moi, Naclamo, gne
js suis si maussaclo," sagte sie. „Io no puis plus vivro clans co
courau!! .... Io tiavaiilo pou, j'ai clos alkaires clomosligues ....
Kai boauooup cts soucis .... II kaut otro I'bommo et la lommo pour
ma lamillo," setzte sie hinzu. Als ich ihr von unsern Thälern er-
zählte, wie ich gehofft, sie dafür zu gewinnen, wie gut sie da arbeiten,
denken könne, wenn sie zu uns käme in den Schwarzwald — sic
lächelte gutmüthig ironisch, weil ich mich eine „pa^sanno clo In lorök
noire" genannt hatte — legte sie das Gesicht in die Hand, strich
darüber, als wolle sie etwas verwischen, und sprach wie eine recht
müde, müde Frau: „II lp a lon^coins guo ja no m'amuso plus." —
Als ob sie aus einem Traume aufwache ober sich auf einen besinnen
wolle, auf eiue ferne Melodie. Dieses „jo no m'amuso plus" machte
mich vollends traurig.
Sie küßte mich beim Scheiden. Ich hätte ihre Hand lang halten
mögen. Eine kräftige Hand, männlich und weiblich zugleich, die
Alles energisch greift; eine feste treue Hand, die nicht leicht faßt, und
doch so weich! Die Hand ist der Mensch. Georges Sand begleitete
mich durch den Gang, „llrouvorer-vous ma potito porko? fragte sie.
„Schwerer zum Ans- als zum Eingänge." — Sie äußerte Freude
über die klaren Tage. Ich sah noch einmal nach ihr hin. Leb wohl,
Traum meiner Jugend! Nm folgenden Morgen reiste sie wieder in
ihr Berry zurück.
Noch Jemand habe ich besucht: CS war mir lieb, daß mein Weg
durch Blumen ging zu dem Dichter der Meerlieder. Um die Madeleine,
wo man nicht anders feilscht wie vor unsern Kirchen, welche Masse
von Veilchen! Ein Wald von Vergißmeinnicht. Alles in dem Weißen
 
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