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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Münzer, Reginald: Eine Pfingstfahrt auf dem Genfer See (Schluß)
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Kurz, Hermann: Aus: Der Sonnenwirth
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0153

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dere Leute," mit Lapidarschrist auf die Stirue dieses Momier-
Paares eingeschrieben.
Langsam steuerten wir wieder um die Ecke von Hermance und
Bellevue; herrlich lag der Abend auf Berg und Thal; die Sonne,
umgeben von einem prachtvollen Wolkenmantel aus Gold und
Purpur gewoben, stand über dem finstern Jura. Diesem gegen-
über aber sah der alte Riese Montblanc und seine ihn umgeben-
den Spießgesellen mit rothen Häuptern herüber in den See, aus

dem sie wiederleuchteten. Zur Rechten der Feuerbrand der Abend-
röthe; zur Linken das Glimmen, Glühen und Verbleichen der
Hochalpen; vor uns die langen Linien der bereits angesteckten
Gaslampen längs der Quais, hinter uns der in aller Pracht aus-
steigende Vollmond, so fuhren wir in großem Bogen in den
Genfer Hafen ein und ich möchte behaupten, daß weder Byron,
noch Matthisson einen schöneren Abend am Leman verlebten, als
der war des Pfingsttages im Jahr 1853.


Aus:

Der S o u u e n w i r t h.
Süddeutsche Volkögeschichte
von

Hermann Kurz.

Viertes und fünftes Capitel.*)
Der Jüngling, dessen groben, verworrenen Lebensfaden wir zu
verfolgen übernommen haben, war, als er die väterliche Schwelle
wieder betrat, über eine jener unsichtbaren Grenzen geschritten,
welche sich durch die Gesellschaft uud durch den einzelnen Men-
schen selbst hindurchziehen. Er empfand vor seinem Vater, wo
nicht Achtung, denn zu dieser gehört ein ausgebildetes Bewußt-
sein, so doch eine unbestimmte Scheu, ja sogar, unter rauher
Decke, einen Rest kindlicher Zuneigung; und dennoch sagte ihm
ein unbestechliches Gefühl, daß er durch den bloßen Rücktrltt aus
dem Kreise des Waisenpfarrers in den Kreis des Sonnenwirths-
hauses um eine Stufe gefallen sei. Das Leben war hier ein ganz
anderes und wies mit seinen alltäglichen und doch gebieterischen
Zwecken so manche Forderung der reifenden Seele zurück, welche
dort, obwohl unter dem einförmigen Frohndienst des Wolle-
krämpelns, von einem Geiste, den seine Zeitgenossen apostolisch
nannten, geweckt worden war; aber die fortgesetzte Berührung
mit dem Alltagsleben mußte auch zugleich die Wirkung haben,
daß dieses Gefühl allmälig wieder in ihm abgestumpft wurde.
Sein blutiges Handwerk,'"-"H wie es das unendliche Weh, das aus
den stummen -Augen der Thiere jammert, zum Schweigen brachte,
so schlug es auch die verwandte Stimme in der Menschenbrust

u Mit Genehmigung des Dichters und des Verlegers theilen wir
aus dem noch ungedruckten, nächstens in der „deutschen Bibliothek" bei
Meidinger L O in Frankfurt a. M. erscheinenden neuesten Roman des
Verfassers von „Schiller's Heimathjcchren" zwei Kapitel als Probe mit,
durch welche wir unsern Lesern einen Blick in eines der interessantesten
Seelen- unv Sittengemälde eröffnen. Der Helv des Romans ist der
„Sonnenwirthle", der durch Schiller's Versuch auch außerhalb Schwa-
bens bekannt gewordene „Verbrecher aus verlorner Ehre", eine psy-
chologisch uud historisch interessante Gestalt, deren unglückselige Ent-
wicklung von H. Kurz, in treuem Anschluß an die dokumentirte Ge-
schichte und in unverkürzter Wiedergabe des schwäbischen Volkscharak-
ters mit den frischesten Lebensfarben geschildert wird. Die Red.
"D Im Zuchthaus zu Ludwigsburg, wo er wegen einer Schlägerei
ein Jahr gesessen hatte. Die Red.
Der Sonnenwirthssohu war zugleich Metzger. Die Red.

nieder. Daneben waren die Gäste, mit denen er täglich in der
Wirthsstube zu thun hatte, gewiß lauter »ehrliche Leute", aber
wahrhaftig keine Tugendspiegel, und er hatte nur allzu oft Ge-
legenheit, die mehr oder minder klare Betrachtung anzustellen,
daß Achtbarkeit und guter Ruf in dieser Welt sehr oft weniger
von einem streng ehrlichen und sittlichen Wesen, als von Klug-
heit und zufälligen Umständen abhäugen. Je minder klar aber
diese Betrachtung in ihm aufstieg, desto gefährlicher war sie ihm.
Ueberhaupt wußte sein Kopf nichts von Nachdenken, sondern nur
von raschen Eindrücken, die sich unter lärmenden Zechgenossen
und auf dem Tanzboden entweder befestigten, oder eben so rasch
wieder verdampften. Aber dieses Bedürfniß, eine immer rege
mißbehagliche Unruhe zu verjubeln, söhnte ihn auch wieder mit
seiner Schwester aus, bald nachdem sie dem ausgedrungenen Bräu-
tigam angetraut worden war. Denn da sie von ihrem Manne
ziemlich leidlich behandelt wurde, so hatte sie dann und wann den
Trost, dem geliebten Bruder einen auf die Seite gebrachten Gro-
schen zustecken zu können, und Friedrich, den der Vater sehr kurz
zu halten für gut befand, verschmähte dle klingenden Beweise der
Schwesterliebe nicht.
Während er auf diese Weise theils gleichgiltig, rheils in dum-
pfer Lustigkeit dahin lebte, kehrten auch seine äußeren Umstände
ganz in das gewöhnliche Geleise zurück. Zu Hause ging er un-
angefochten aus und ein und stand mit der Stiefmutter in jenem
mürrischen Verkehr, wo Gewohnheit die Stelle der Liebe ver-
tritt. Auch iir der Gemeinde war er geduldet; Niemand zeigte
sich ihm widerwärtig, Mancher blickte ihn freundlich an, und des
Makels, der auf ihm haftete, schien nicht gedacht zu werden. Ihm
selbst war nicht wohl und nlcht wehe; mit dein Zuchthause hatte
er auch deu Waisenpfarrer vergessen. Ein strenges Gesicht machte
ihm Niemand mehr, als der Amtmann. Aber dieß hatte wenig
zu sagen, denn der Amtmann galt persönlich nicht viel bei der
Gemeinde, und zu Hause gar nichts; auch nahm der im Grunde
gutmüthige uud schwache Mann eigentlich nur deßhalb eine Amts-
miene gegen ihn an, weil er ihn einmal in Untersuchung gehabt
 
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