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jetzt lassen Sie uns zu Ellen gehen! Sie waren gewiß eben bei
ihr?«
„Ja, ich war bei ihr,« anwortete Ensen wehmüthig, „ich be-
suche sie regelmäßig jede Woche. Daß Sie noch leben ...«
„Wie? Das ist ihr unbekannt? Warum sagten Sie ihr dies
nicht?«
In des Predigers Augen traten Thränen, er vermochte kaum
zu sprechen. „Wenn die Todten," erwiederte er nach einer Pause,
„die Lebendigen verstehen könnten, so wäre sie die Erste gewesen,
der ich Ihre Rettung verkündet hätte.«
Reimar starrte den Psarrherrn unbeweglich an, als verstünde
er seine Worte nicht.
„Kommen Sie, armer Freund,« sprach dieser ihn am Arm
ergreifend und ihn zum nahen Friedhof führend, „wir wollen zu
Ellen gehen, aber seien Sie gefaßt und ergeben Sie sich in Gottes
unerforschlichen Rathschluß.«
„Jst's ein Traum?« stammelte Reimar, „oder habe ich falsch
gehört? Sprachen Sie nicht das fürchterliche Wort ,Todll aus?
Warum führen Sie mich auf den Friedhof? Wohnt Ellen hier?«
„Reimar, kein Traum täuschte Sie, fassen Sie sich! Das
Grab, vor dem Sie stehen, birgt Ellen, deren treues Herz über
Ihren vermeintlichen Tod brach! Ergeben Sie sich in Gottes
Willen! Für Sie ist die Prüfung hart, aber dem Mädchen ist so
wohl, wie ihr auf Erden nicht werden konnte. Lieh, gönnen Sie
ihr die Ruhe!«
Fast bewußtlos sank Reimar auf den Rasenhügel nieder. An
ihm erfüllten sich jetzt die Worte:
Still trauernd, ohne alle Klagen,
Stumm ist der tiefste Seelenschmerz
Auch nicht durch Thränen kann er sagen,
Wie trostlos ist das arme Herz ....
„Reimar, Reimar, mein theurer Reimar! Gott sei tausend
Mal gedankt, daß ich Dich wieder sehe!« rief eine jugendliche Ge-
stalt, welche hinter einer Chpresse hervorgesprungen kam und ihn
mit den Armen umschlang, als eben seine Besinnung gänzlich zu
schwinden drohte. „Mein theurer Reimar, kennst Du mich nicht
mehr?«
Ach, die Stimme, der Ruf klang so süß, so melodisch, als ob
Ellen gesprochen. Träumerisch richtete ersieh empor. Ja, wahrhaftig,
sie stand vor ihm. Das waren die sanften plastischen Züge, die
tief blauen Augen, das Lächeln um den Mund; — doch es war
eine Täuschung, sie war es nicht, sondern Lising, welche der
Schwester glich. Innig preßte er das Mädchen an seine Brust.
Da ergriff plötzlich eine fremde Hand die seinige und eine Stimme,
die lange schlummernde Gefühle auftauchen, die Erinnerung an
die glückliche Kindheit erwachen ließ, rief seinen Namen. War es
abermals Täuschung? Vor ihm stand seine Mutter. -—> »Mutter!«
rief er erschüttert und trat einen Schritt zurück.
„Mein Sohn,« flehte diese, „verzeihe mir, ich habe unendlich
gelitten, hebe den Fluch von mir, ach, er hat Dich schrecklich ge-
rächt !«
Leise neigte sich Reimar zu seiner Mutter und sie versöhnend
in die Arme schließend flüsterte er: „Dir ist vergeben, . . . um
ihretwillen, die hier den ewigen Schlummer schläft! —"
Als der Frühling das nächste Mal seine Fittige über die Erde
breitete, stand Reimar von der Treuenburg mit Lising Green >—
eine Elisabeth von Fliessingen gab es nicht mehr, so wenig
als einen Grafen Reimar >—> vor den: Altäre in der Lenower
Kirche. Der Pfarrherr Ensen legte segnend ihre Hände zum ehe-
lichen Bunde in einander.
Ellen ruhte nicht mehr lange allein im Grabe. Ihr folgte
Reimar's Mutter bald.
„Meine Asche," sagte die Gräfin eine Viertelstunde vor ihrem
Tode, „soll neben der Körperhülle eingesenkt werden, deren reine
Seele mir den Weg zum Herzen meines Sohnes, zum Frieden
meiner Seele gebahnt hat! —
An Ellen's Todestag prangen jedes Jahr die schönsten Blu-
men, welche zu dieser Zeit in Lenow blühen, auf ihrem Grabe.
Mary legt sie dort nieder, sobald der erste Schimmer des Tags
auf dem grünen Grabhügel zittert!
Eme Psingstfahrt aus dem Genfer See.
Von
Reginald Münzer.
(Schluß.)
Wer Arbon am Bodensee, das ^.ibor tdllx der alten Römer,
gesehen hat, der hat Evian gesehen. Fischer und Schiffer, Hafen-
und Lagerhausknechte, Zoll-, Grenz- und Polizeipersonal bildet
die Hauptstaffage solcher Uferstädte. Von der Reisegesellschaft
blieb wenig in Evian, fast Alles ging nach dem Kur- und Bad-
hause Amphyon. Der Oberkellner und der Wirth des Hotels du
Nord, das, im Vorbeigehen gesagt, gerade so aussieht wie das
Wirthshaus zum rothen Ochsen in Rohrbach, Dertingen oder
Hammelsberg, zogen vergeblich ihr Gesicht in grinsende Bewill-
kommungsfalten und wedelten umsonst mit der Serviette. Mit
Ausnahme des Schiffskapitäns und des Steuermanns vom Boote,
bekannter Stammgäste, sah ich Niemanden den Ganymeden nahen.
Ich traf hier einen mir befreundeten deutschen Maler, dessen Name
in Deutschland ein sehr geachteter ist, den ich aber nicht nennen
will, da ich von dem alten Jungen einen tollen Streich zu erzählen
habe. Seinen zahlreichen Freunden im Vaterlaude mag die Be-
jetzt lassen Sie uns zu Ellen gehen! Sie waren gewiß eben bei
ihr?«
„Ja, ich war bei ihr,« anwortete Ensen wehmüthig, „ich be-
suche sie regelmäßig jede Woche. Daß Sie noch leben ...«
„Wie? Das ist ihr unbekannt? Warum sagten Sie ihr dies
nicht?«
In des Predigers Augen traten Thränen, er vermochte kaum
zu sprechen. „Wenn die Todten," erwiederte er nach einer Pause,
„die Lebendigen verstehen könnten, so wäre sie die Erste gewesen,
der ich Ihre Rettung verkündet hätte.«
Reimar starrte den Psarrherrn unbeweglich an, als verstünde
er seine Worte nicht.
„Kommen Sie, armer Freund,« sprach dieser ihn am Arm
ergreifend und ihn zum nahen Friedhof führend, „wir wollen zu
Ellen gehen, aber seien Sie gefaßt und ergeben Sie sich in Gottes
unerforschlichen Rathschluß.«
„Jst's ein Traum?« stammelte Reimar, „oder habe ich falsch
gehört? Sprachen Sie nicht das fürchterliche Wort ,Todll aus?
Warum führen Sie mich auf den Friedhof? Wohnt Ellen hier?«
„Reimar, kein Traum täuschte Sie, fassen Sie sich! Das
Grab, vor dem Sie stehen, birgt Ellen, deren treues Herz über
Ihren vermeintlichen Tod brach! Ergeben Sie sich in Gottes
Willen! Für Sie ist die Prüfung hart, aber dem Mädchen ist so
wohl, wie ihr auf Erden nicht werden konnte. Lieh, gönnen Sie
ihr die Ruhe!«
Fast bewußtlos sank Reimar auf den Rasenhügel nieder. An
ihm erfüllten sich jetzt die Worte:
Still trauernd, ohne alle Klagen,
Stumm ist der tiefste Seelenschmerz
Auch nicht durch Thränen kann er sagen,
Wie trostlos ist das arme Herz ....
„Reimar, Reimar, mein theurer Reimar! Gott sei tausend
Mal gedankt, daß ich Dich wieder sehe!« rief eine jugendliche Ge-
stalt, welche hinter einer Chpresse hervorgesprungen kam und ihn
mit den Armen umschlang, als eben seine Besinnung gänzlich zu
schwinden drohte. „Mein theurer Reimar, kennst Du mich nicht
mehr?«
Ach, die Stimme, der Ruf klang so süß, so melodisch, als ob
Ellen gesprochen. Träumerisch richtete ersieh empor. Ja, wahrhaftig,
sie stand vor ihm. Das waren die sanften plastischen Züge, die
tief blauen Augen, das Lächeln um den Mund; — doch es war
eine Täuschung, sie war es nicht, sondern Lising, welche der
Schwester glich. Innig preßte er das Mädchen an seine Brust.
Da ergriff plötzlich eine fremde Hand die seinige und eine Stimme,
die lange schlummernde Gefühle auftauchen, die Erinnerung an
die glückliche Kindheit erwachen ließ, rief seinen Namen. War es
abermals Täuschung? Vor ihm stand seine Mutter. -—> »Mutter!«
rief er erschüttert und trat einen Schritt zurück.
„Mein Sohn,« flehte diese, „verzeihe mir, ich habe unendlich
gelitten, hebe den Fluch von mir, ach, er hat Dich schrecklich ge-
rächt !«
Leise neigte sich Reimar zu seiner Mutter und sie versöhnend
in die Arme schließend flüsterte er: „Dir ist vergeben, . . . um
ihretwillen, die hier den ewigen Schlummer schläft! —"
Als der Frühling das nächste Mal seine Fittige über die Erde
breitete, stand Reimar von der Treuenburg mit Lising Green >—
eine Elisabeth von Fliessingen gab es nicht mehr, so wenig
als einen Grafen Reimar >—> vor den: Altäre in der Lenower
Kirche. Der Pfarrherr Ensen legte segnend ihre Hände zum ehe-
lichen Bunde in einander.
Ellen ruhte nicht mehr lange allein im Grabe. Ihr folgte
Reimar's Mutter bald.
„Meine Asche," sagte die Gräfin eine Viertelstunde vor ihrem
Tode, „soll neben der Körperhülle eingesenkt werden, deren reine
Seele mir den Weg zum Herzen meines Sohnes, zum Frieden
meiner Seele gebahnt hat! —
An Ellen's Todestag prangen jedes Jahr die schönsten Blu-
men, welche zu dieser Zeit in Lenow blühen, auf ihrem Grabe.
Mary legt sie dort nieder, sobald der erste Schimmer des Tags
auf dem grünen Grabhügel zittert!
Eme Psingstfahrt aus dem Genfer See.
Von
Reginald Münzer.
(Schluß.)
Wer Arbon am Bodensee, das ^.ibor tdllx der alten Römer,
gesehen hat, der hat Evian gesehen. Fischer und Schiffer, Hafen-
und Lagerhausknechte, Zoll-, Grenz- und Polizeipersonal bildet
die Hauptstaffage solcher Uferstädte. Von der Reisegesellschaft
blieb wenig in Evian, fast Alles ging nach dem Kur- und Bad-
hause Amphyon. Der Oberkellner und der Wirth des Hotels du
Nord, das, im Vorbeigehen gesagt, gerade so aussieht wie das
Wirthshaus zum rothen Ochsen in Rohrbach, Dertingen oder
Hammelsberg, zogen vergeblich ihr Gesicht in grinsende Bewill-
kommungsfalten und wedelten umsonst mit der Serviette. Mit
Ausnahme des Schiffskapitäns und des Steuermanns vom Boote,
bekannter Stammgäste, sah ich Niemanden den Ganymeden nahen.
Ich traf hier einen mir befreundeten deutschen Maler, dessen Name
in Deutschland ein sehr geachteter ist, den ich aber nicht nennen
will, da ich von dem alten Jungen einen tollen Streich zu erzählen
habe. Seinen zahlreichen Freunden im Vaterlaude mag die Be-