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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Köhler, Aline: Das Mädchen von Lenow (Schluß)
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0148

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mühsam, sich fest an die Wand lehnend, indem sie heftiger zitterte;
„laß mich allein, geh' in Dich und bedenke, was Du zu thunhast."
Raschen Schrittes eilte sie fort, vor sich hin murmelnd: „Ja,
es gab eine Zeit, wo ich ihn liebte, vordem, als er weit weg-
wanderte, doch als Mary mir von ihrer Liebe sagte, bekämpfte
ich meine Gefühle und er war mir nichts mehr, als ein Freund."
„Das war brav, liebe Ellen, Gott möge es Dir lohnen!"
flüsterte eine Stimme ihr in das Ohr. Erschrocken blickte sie sich
um. Vor ihr stand der Pfarrherr Ensen und eine Dame in tiefer
Trauerkleidung. Die hohe Greisengestalt, vom Lichte der abend-
lichen Sonne überstrahlt, erschien ihr in diesem Augenblicke wie
ein höheres Wesen, das ihr Frieden und neuen Muth brächte.
Auf dem ehrwürdigen, von weißen Locken umwallten Antlitze des
Pfarrherrn thronte die Milde eines Himmelsboten, bei den Wor-
ten, die er sprach, ruhten seine schönen dunkeln Augen mit einem
Ausdruck der innigsten Freude auf dem Mädchen. Doch bald, da
sein Blick die Trauerkleider der Dame zufällig streifte, trat tiefe
Wehmuth auf seine Züge, ein Seufzer entglitt seinen Lippen und
er mußte sich abwenden, um die Thräne zu verbergen, welche über
seine Wange rollte.
Ellen bemerkte seine Bewegung nicht, ihre ganze Aufmerksam-
keit war durch die Dame gefesselt; dies schöne Antlitz, diese blauen
Augen, diese gewölbte Stirn, der Zug um den Mund erweckten
eine Ahnung in ihr; träumerisch schlug sie ihre Augen auf einige
Sekunden zu Boden, dann heftete sie einen Freude strahlenden
Blick auf die Dame.
„Mädchen," rief diese erstaunt, „Du erkennst mich! Ja, ich
Lin Reimar's Mutter. Es zog mich mächtig zu Dir hin, Du edle
Seele, Du hast die Nacht in meines Sohnes Leben zum Tag er-
hellt, Du hast das grenzenlose Weh, das ich ihm zugefügt, durch
Deine Liebe gelindert; ich komme, Dir zu danken. Du bebst?
Ja, die Verfluchte erweckt Abscheu in Dir, aber stoße mich nicht
zurück, laß Deine Hand in der meinigen ruhen, meinen Lebens-
weg an den Deinen ketten um dessen willen, den Du liebst, der
mich verfluchte; ich weiß nicht, wohin ich in meiner Gewissens-
qual fliehen soll."
Verzweiflung durchbebte die Dame bei diesen Worten, sie
wäre ohnmächtig zu Boden gesunken, hätte sie der Pfarrherr,
dessen Blick jetzt etwas vorwurfsvoll auf Ellen ruhte, nicht mit
seinen Armen aufgehalten. Ihr Schluchzen weckte Ellen aus ihren
Träumen.
„O Gott," sagte sie, »Ihr deutet mein Schweigen falsch, die
Freude, Euch zu sehen, ließ mich verstummen und erbeben. Wie
könnte ich Reimar's Mutter ... Fordert von mir, was ihr wollt,
ich bin Euer mit der größten Liebe."
Gerührt schloß die Gräfin Ellen in ihre Arme; „ja, bei Dir,"
sprach sie, „kann ich noch Frieden finden, mit Dir vereint, kann
ich vielleicht noch glücklich werden. Gott, wie gütig bist Du gegen
mich!"
„Sagte ich es Ihnen nicht, gnädige Frau," fiel der Prediger
ein; „Gott erbarmt sich auch der Seelen, welche straucheln, ja bei
Gott und in Gott ist all unser Glück und Frieden. Der Weg zum
Frieden ist schwer zu erklimmen; aber wenn eine liebende Hand
den Pilgernden leitet, dann wird der mühevolle Pfad geebnet.
Und," fuhr er inniger fort, der Gräfin Hand in die von Ellen
legend, „so gebe Gott seinen Segen!"

„Wie wird Reimar sich freuen, wenn er zurückkehrt, und eine
Mutter wieder findet," lispelte Ellen.
„Reimar wiederkommen ?"riefdie Dame erschüttert im Schmerz
der Verzweiflung; Raimar ist todt, er hat Schiffbruch gelitten."
Erbleichend lehnte sich Ellen zurück. „Todt?" stammelte sie
mit ersterbender Stimme; »Gott, das ist hart!" Tiefgebeugt fal-
tete sie die Hände auf die Brust, als wollte sie den Schmerz, der
hier eiuzog, abwehren.
Sechs Wochen darauf ertönte das Geläute der Glocken vom
Lenower Thurme, an einem Tage zwei Mal. Am frühen Morgen,
als die Sonne ihre ersten Strahlen auf die halbwinterlichen Flu-
ren senkte, galt das Geläut einer Trauung — Hans und Mary
wurden zu einem glücklichen Leben vereinigt >— am Abend trug
man unter Trauergeläute die irdische Hülle eines jungen edlen
Wesens zum einsamen Friedhof.
Wieder war ein Jahr verflossen, ein Frühlingswehen zog nach
dem langen Winter über die Erde und weckte Tausende von schlum-
mernden Keimen, Millionen Wesen feierten das Erwachen vom
Winterschlaf und freueten sich aufathmend eines neuen, fröhlichen
Lebens.
Auch im Menschenleben gibt es einen Frühling, ein Aufath-
men zu einem Leben nach einer Kette von Tagen, die dem Winter
gleichen. Armes Menschenherz, dem nie ein Frühling erscheint,
das von einem Morgen bis zum andern ein Aufathmen erhofft,
dessen Seele fortwährend eine Ahnung von den milden Tagen des
Lenzes durchzieht, die sich nie, oder oft dann erst erfüllt, wenn
das Herz in der Eiskälte des Winters erstarrt! Du armes Wesen,
verzage nicht! Grab' in's Herz Dir den Trost, daß wir für die
Ewigkeit leben.
Es war an einem Sonntag Abend, als längs der Küste von
Lenow ein einsamer Wanderer schritt; sein von der südlichen Zone
gebräuntes Antlitz, auf dem eine lebensfrische Farbe thronte, ließ
nicht den einst so bleichen Reimar erkennen; weder rechts noch
links blickend, eilte er in froher Erwartung dem Dorfe zu, aus dem
ihm der Invalid zuerst entgegen trat, welcher, ohne ihn zu beach-
ten, vorüber ging. Dem alten Soldaten folgte in einiger Ent-
fernung ein ehrwürdiger Greis, Reimar blickte ihn forschend an
und sank, als er sich in seiner Ahnung nicht getäuscht fand, mit
einem Freudenschrei ihm in die Arme. Es war der Prediger von
Nathin.
„Mein theurer Freund, verzeihen Sie mir, daß ich Sie nicht
in Ihrer Wohnung begrüßt habe," begann Reimar, nachdem der
erste Freudenrausch verklungen, „man sagte mir, Sie seien nach
Lenow hinüber gezogen und ich beschloß daher, Sie hier aufzu-
suchen, Sie wissen ja, welch theurer Ort mir Lenow ist. Meinen
Brief, den ich von London an Sie absandte, Habei: Sie doch er-
halten?"
„Ja, mein lieber Freund!" antwortete der Prediger, „sonst
würden Sie wohl größeres Staunen über Ihr Erscheinen an mir
bemerkt haben; wir glaubten alle, Sie seien bei dein Schiffbruche
mit umgekommen. Wie viel heiße Dankgebete habe ich nicht zu
unserm himmlischen Vater gesandt!"
„Meine Rettung war in der That ein Wunder; denn mein Le-
ben hing nur noch an einem Faden. Hiervon ein ander Mal,
 
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