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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Becker, Aug.: Des Schulzen Fritz (Schluß)
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0025

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Des Schulzen Fritz.
Eine Geschichte aus der rheinischen Pfalz
von
Aug. Becker.
(Schluß.)

4.
Die Sonne -lickt traurig durch die dünnen Schnee-
wolken auf ihre erstarrte Schwester im Leichenhemdc,
die über und über beschneite, hartgefrorene Erde. Ein-
zelne Schneeflocken, gleich verirrten Lämmchen auf der
Haide, werden hin und wieder durch die kalte Luft ge-
trieben, wenn sie nicht etwa einen Ruheplatz auf dem
Wamms eines einsamen schlechtgekleideten Wandcres fin-
den, unter dessen Tritten der gefrorene Schnee knistert
und knarrt. —
Der Wanderer ist noch ein junger Mann, aber seine
regelmäßigen Züge sind so bleich und tragen also sehr die
Spuren großen Leidens, daß wir ihn für einen jener ewig
Kranken halten müßten, die ihr elendes Leben mit jedem
Schritt näher dem Grabe schleppen, — wenn nicht eben
der feste Schritt des Wandcres, sein emporgerichtctes Haupt
und sein lebhaft erregtes Auge uns eines Bessern beleh-
ren würde. Er schreitet tapfer drauf zu, — ist auch die
Kälte allzugroß, als daß man den Aufenthalt im Freien
nicht nach Möglichkeit verkürzen wollte. Aber cs muß ihn
noch etwas Anderes treiben, wie wir aus den einzelnen
abgestoßenen Worten entnehmen können, welche er für
sich hinmurmelt.
„Endlich seh' ich den Kirchthurm!" sagt er. „Ach
Gott, wie wohl thut einem das, wieder dahinwandeln
zu können, wo man aufgewachsen und wo ... Ich
hätte sterben müssen, wenn ich noch länger in dem Loch
gesessen wäre . . . wie wird sie sich freuen . . . ja, sie
wird dankbar sein, für das, was ich nusgestanden für
sie . . . und der alte Jergmichcl! Du lieber Gott!
Wenn der erst weiß, daß ich kein Dieb..... wie wird
ihm sein Glas vom Besten schmecken, wenn ich wieder
als gemachter Mann in meines Großvaters Haus sitze
. . . Aber, vielleicht, vielleicht . . . nein! nein! Es
kann nicht sein! cs darf nicht sein ... so falsch, so
grundaus schlecht ist die Kathel nicht ... sie hat ja
jetzt gesehen genug, wie ich's mit ihr meine... —
Aber nein, Fritz, mach Dir keine falschen Hoffnungen,
trau' Deinem Schicksal nicht zu Großes zu. ... Du
läßt dich von deinen Wünschen verführen! . . . Und
doch, mein Gott, sie muß ja jetzt sehen, daß Niemand,

gar Niemand in der Welt sie so gern hat wie ich . . .
ich bin doch ein recht armer Kerl und hab so viel
ausgestanden . . . jetzt wird sie auch etwas für mich
thun!" —
„Wer ist das? Das sind ja die Schellen von des Bür-
germeisters Gefährt' ... ja, das ist der Schlitten, in
dem ich sie so oft gefahren! Wie die Gäule ausholen und
dampfen, der Schimmel und der Fuchs! Wer wird drin-
uen sitzen, wer wird fahren? 's kann's doch Keiner, wie
des Schulzen Fritz zu seiner Zeit! Halt, jetzt kann ich's
sehen! ... ach Gott, sie sitzt drinnen ! Kathel, Kathel!
. .. sie hat mich nicht erkannt!" —
Traurig blickte des Schulzen Fritz dem Schlitten
nach, — sie hatte den armen, abgezehrten jungen Mann
nicht erkannt, der an der Straße stand und ihr so eigen
in's Gesicht gesehen hatte; — was kümmerte die benei-
dete Braut des reichen Ochscnwirths von Heuchelheim
der halb erfrorene Bettler an der Landstraße? Wie hätte
sie den armen Burschen, der eben aus dem Zuchthnuse
in die Heimath kehrte, wieder erkennen mögen!
Du Armer! hatte doch der alte Jergmichcl Mühe, in
Dir seinen Fritz, den saubersten, kräftigsten Burschen im
Dorfe, wieder zu erkennen! — —
Dort in der kleinen Wohnung auf dem Kirchberg saß
man heute Abend wieder beisammen am Ofen, — auch
der alte Peter war da, aber alle Munterkeit war von
ihm gewichen, und ebenso heiß brannten ihm die Zähren
auf der verblichenen, narbigen Wange, als seinem Ge-
vatter, dem Jergmichcl, wenn er auf den Fritz hin guckte,
der dort am Ofen saß, das Gesicht in den Händen
verhüllt.
Ein leiser Fluch über den andern kam aus des alten
Peter's Mund, so daß darüber sein Pfeifchen beinahe
auslöschtc. Er hatte statt des Jergmichcl dcm Fritz Alles
erzählt, was seitdem im Dorfe vorgefallcn war, — wie
die Pnrthie mit „'s Ochscnwirths" von Heuchelheim die
Bürgermeisterin dennoch zu Stande gebracht, — wie das
falsche Trinel, die Kathel, dennoch cingewilligt habe und
auf Morgen schon die Doppelhochzeit gehalten werden
solle. Auch ließ cr merken, daß er jetzt doch gern wissen
 
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