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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Lunckenbein: Aus den Bergen
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0107

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Aus -en Bergen.
Erzählung
von
ve. Lllnckenb ein.

Wo im Herzen Deutschlands der granitne Stock des Fichtel-
gebirges in zwei mächtigen, von einem Kranze immergrüner Wäl-
der umgebenen Häuptern aufsteigt, um deren Fuß in geringer
Entfernung vier Flüsse entspringen und steh wie eben so viele
Arme nach den vier Himmelsgegenden ausstrecken, verwandelt sich
der heitere, freundliche Charakter der südlichen Vorberge in einen
ernsten und strengen. Wer von diesen sich in altmäligem Aufstei-
gen dem Mittelpunkte des Hochgebirges nähert, hat bald die an-
muthigen, wasserreichen Thäler mit ihren grünen Wiesengründen,
wohlgepflegtem Ackerlande und obstreichen Hügellehnen, die
Dörfer mit ihren roth entgegen schimmernden Ziegeldächern, die
freundlich aus dem Grün der Bäume und kleiner: Grasgärten her-
vorblinken und dem Auge einen so wohlthuenden Anblick gewäh-
ren, hinter sich und tritt nun in den düstern Schatten uralter
Tannen und Fichten. Die Blumenwelt des Flachlandes ist ver-
schwunden; nur die Heidelbeere bedeckt mit ihren kleinen Waldern
den Boden; offene Stellen überkleidet die Erica mit ihren unzäh-
ligen röthlichen Blüthen; wo sie fehlen, bedarf der Wanderer gro-
ßer Vorsicht, um sich die trügerische Decke häufiger Moorgrunde
nicht unter dem Fuße Verschwinden zu sehen; um so gefährlicher
als ihm nur selten eine wegzeigende oder rettende Seele begegnen
wird. Die Wohnungen werden seltener, dürftig; man kann
Stunden lang in schweigender Einsamkeit wandeln, bis sich etwa
eines jener engen, schluchtenähnlichen Thälerzeigt, die sich zwischen
die zahlreichen Höhen des Gebirges drängen, und das Geräusch
eines Hochofens die Nähe menschlicher Wesen kündet. Der Be-
wohner hat die Natur seiner Berge und der wenig fruchtbaren
Scholle angezogen. Wie sie der harten -Arbeit und dem müh-
samen Fleiße wenig lohnt, so ist der Mensch dieses Landstrichs an
knappe, bescheidene Bedürfnisse gewöhnt, sein Blick beschränkt
durch den Wall seiner Berge und Wälder, die er früher noch selte-
ner überschritt als jetzt, wo der unendliche Aufschwung der Ver-
kehrsmittel auch diesen eigentlichen Fichtelgebirger schon mehr in
den allgemeinen Kreislauf gezogen und seiner Besonderheit, wie
Absonderung entrückt hat. Im langen Winter dieser Gegend aber,
der die alten Gipfel des Schwarzholzes unter einer unbeschreib-
lichen Masse Schnee's sich beugen läßt, ist heute noch die Verbin-
dung zwischen den einzelnen Dörfern und Wohnstätten oft auf
Wochen gänzlich unterbrochen; die Dörfer liegen dann unter
einem weißen Leichentuche wörtlich wie begraben; ihre Bewohner
sind auf sich selbst angewiesen. Die kurzen und düstern Tage wer-
den mit den Vorbereitungen für den Wiederbeginn des Feldbaus,
mit den verschiedenen häuslichen Arbeiten, mit Schnitzen kleiner
hölzerner Geräthschaften hingebracht; die langen Abende versam-
meln abwechselnd in einem bestimmten Hause die Burschen und
Mädchen, Alt und Jung in der sogenannten Rockenstube um das
spärliche Licht eines brennenden Holzspanes. Der Hausvater sitzt

dabei gewöhnlich am Ofen und spaltet Späne; die Jugend lacht
und schäkert oder macht sich gegenseitig fürchten durch Erzählung
gespenstiger Geschichten von bösen Berggeistern und Gnomen,
über welche die Mädchen noch aus dem Heimwege zittern und so
um so dankbarer für das männliche Geleite sich bezeigen.
Nicht immer aber wird es der bescheidenen Genügsamkeit die-
ser einfachen Gebirgsbewohner auch nur so gut. Wenn der Flachs
mißrathen, das Hauptnahrungsmittel, die Kartoffel, verfault, der
Webstuhl stille steht, der Schacht in die eisenreichen Eingeweide
des Gebirgs verfallen, die Hochöfen ausgebrannt, dann naht ein
anderer Gast den Hütten, ein wirklich finsterer, verderblicher
Gnome >— Noth, Mangel, bitterste Entbehrung rind der bleiche
Hunger, in ihren Schrecken gesteigert durch die Abgeschlossenheit
des Winters, durch Kälte und spärliche Feuerung mit mühsam
zusammengelesenem oder dem Auge der spürenden Forstwärter,
nicht ohne Gefahr glücklich entzogenem Holze. Frieren mitten im
Ueberflufse dichter Waldungen ist eine seltsame, kaum glaubliche
Erscheinung — und doch ist es so! Es fehlt oft denen an Holz,
die mitten im Walde wohnen.
Doch solche und ähnliche Gedanken beschleichen wohl kaum
den zufälligen Wanderer durch die dunkeln Schatten der Wälder
des Fichtelgebirges. Ihm drängt sich zunächst die ganze Einsam-
keit und Ruhe aus, die wie nach einem Rückzüge aus einem be-
wegten Leben das Gemüth unter den schweigenden Domen der
schwarzbenadelten Waldriesen gefangen nehmen. Wohl ist es völ-
lige Stille, die da herrscht, unterbrochen oder eigentlich nur be-
gleitet von jenem monotonen Rauschen, wie es sich in den Wip-
feln des Schwarzwaldes auch bei Entfernung jeglicher Luftbewe-
gung durch das leise Spiel der Nadeln und ihre Annäherung, als
neigten und grüßten sie sich zu, stets vernehmen läßt —> jenes
Rauschen, das bei stärkerem Luftstrome, wenn unten noch Ruhe
waltet, schon in der Höhe ein Sausen starken Windes vorspiegelt,
sich aber bei wirklichem Sturme in ein wirres Brausen, ein un-
heimliches Stöhnen und Aechzen der geschüttelten und an einander
geschlagenen Aeste verwandelt, wie es dem Sturme in einem ho-
hen und dichten Schwarzwalde einen so eigentümlichen, er-
schreckenden Charakter verleiht. Wer je in solcher Umgebung von
einem Unwetter überrascht wurde, versteht und erkennt die von
uns gemeinten Eindrücke wieder, welche dem, der sie nie erlebt
hat, oder dem Bewohner des Flachlandes schwer zu beschreiben
sind. Man begreift dann auch, wie der Berg-und Waldbewoh-
uer, der rauhe Sohn seiner Natur, in solchen Momenten „den
Teufel und alle bösen Geister los" glauben kann, und selbst seine
natürliche Unerschrockenheit erzittern fühlt. Der Herz und Sinne
betäubende Aufruhr bei einem heftigen Gewitter in gebirgiger
Waldgegend wird in seinen Wirkungen verstärkt durch die Aus-
sichtslosigkeit, den beschränkten Umblick, der das ganze Unwetter
 
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