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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Liebstein, Hynko: 's Butterbäbele
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Cramer, Carl: Fleisch und Knochen
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0196

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und ihn gebeten, sein jüngstes Kind, 's Rösle, wenn er heim gehe,
mitzunehmen und es dem Bäbele zu bringen. Damit nahm er ein
munteres, vierjähriges Mädchen von seinem Schooß und gab's
dem Babele.
Die stand während dem Berichte regungslos da; heiße Zäh-
ren des Schmerzes fielen über die Wangen, und endlich rief sie,
sich fassend: „Friederle, Dir isch wohl; i dank der, daß d' an mi
denkt hoscht; jetzt leb i wieder gern!" Sie nahm das kleine Rösle
in die Arme, herzte und küßte es, daß es eine Lust war und ent-
sprang mit der lieben Bürde.

Wunverbar wirkte das liebe Kind auf's Babele, die in dem-
selben wieder aufzuleben schien und in dem Finvling ein beleben-
des Verjüngungsmittel gefunden hatte.
Rösle aber wuchs lustig heran und gedieh an Körper und
Geist zur Freude Aller, die sie kannten.
Als sie nun groß geworden war, da erzählte ihr die Pflegmut-
ter ihre Geschichte, und that dieß zum sechsten und zwölften Mal,
und ebenso oft sang das rosige, liebliche Kind:
So leb denn wohl, du stilles Haus!


Fleisch und Knochen.
Hoffmannstropfen
von
Carl Cramer.

Der Frühling war gekommen, aber nicht für mich. Die Vögel
lockten in's Freie; ich aber durfte ihrem Rufe nicht folgen.
Draußen athmete Alles die milde mit Kräuterduft geschwän-
gerte Frühlingsluft; mich aber umwehte der Dunst der Teufels-
küche — der Apotheke, denn die Masern fesselten mich ans Zim-
mer, und theilweise selbst an's Bett.
Gerne hätte ich den Frühling zu mir hereingeladen, aber der
Arzt wollte von einem solchen Krankenbesuche nichts wissen, und
ließ ihm durch doppelte Thüren und Fenstern den Eingang ver-
sperren, so daß auch kein Lüftchen zu mir eindringen konnte. Die
schrecklichste Langeweile quälte mich. Ich griff zur Lectüre; aber
auch die holden Blütchen der Poesie hatten für mich keinen süßen
Duft, denn er ging in der hermetisch verschlossenen Klause gleich
in Gährung über, und schlug als Magensäure nieder. So lag
ich denn, athmete Teufelsstank, trank Tcufelsbrühe, aß Teufels-
dreck, und hätte lieber gleich selbst des Teufes werden mögen.
Da trat mein Wärter in's Zimmer. Ich hatte ihn in die
Leihbibliothek geschickt mit dem Auftrag um derbe Kost, um Et-
was, das spannt und packt. Ich schlug den Titel eines der Bü-
cher auf und las: „Elirire des Teufels v on Hoffmann!"
„Das paßt zum Uebrigcn," dachte ich, und begann zu lesen.
Und in derThat, dieLectüre behagte mir, so wenig es auch meinem
Arzte eingefallen sein dürfte, mir gerade diese Elirire zu ver-
schreiben. Diese wilden Phantasten erfaßten mich bei meinem
ohnehin fieberhaft erregten Zustande mit wahrhaft dämonischer
Gewalt. Ich nahm nicht bloß Hoffmann's Tropfen, sondern ge-
noß von nun an den Hoffmann in Maßen, oder besser gesagt,
im Unmaß, bis Abends meine matt gehetzte Phantasie dem
Schlafe erlag. Aber auch hier ward ihr keine dauernde Ruhe,
denn wilde Träume peitschten sie auf's Neue auf, und umga-
ben mich mit Hoffmann's Spukgestalten, die mich näselnd, ki-
chernd und neckend auf jedem Schritte und Tritte umfuhren. —
Ich sagte mir Morgens freilich oft: „Das taugt nicht!" Aber

hintenher zog es mich immer wieder mit Zaubergewalt zu den
phantastischen Büchern und ihren grauenvollen Wahngebilden.
Einst hatten mich wieder im Traume der Nußknacker, der
Doppelgänger und ähnliche Spukgestaltei: verfolgt. Sie riefen
mir zu: „Brüderchen, nimm mich mit!" hockten sich mir auf den
Rücken und kletterten mir auf die Schultern. Ich wollte sie
von mir abschütteln, sank aber kraftlos zusammen; alle Glieder
waren mir wie gelähmt. Ich wollte schreien; aber sie saßen mir
auf der Brust, und klammerten mir ihre knochendürren Finger
um die Kehle. Endlich wand sich ein Angstschrei dennoch hindurch,
und mit ihm erwachte ich.
Ich fand mich im kalten Schweiße gebadet. Froh, dem Traum
entronnen zu sein, holte ich tief auf Äthern; aber es sollte mir
wachend nicht besser werden als im Traume.
An meinem Fenster klapperte es leise und es bewegte sich dort
ein lattenförmiger Gegenstand. Anfangs glaubte ich, es seien
die Weinreben, die sich draußen im Winde wiegten; eine genauere
Beobachtung belehrte mich jedoch, daß sich der Gegenstand im
Zimmer selbst befände. Gleichwie durch einen durchbrochenen
Helm eines gothischen Kirchthurms blickte ich hindurch in den
Lichtrefler ves Mondes, welcher den Horizont draußen matt er-
hellte.
Jetzt näherte der Gegenstand sich dem Tische, tappte darauf
herum, als ob er etwas suche, und schien endlich glücklich es gefunden
zu haben. Ein phosphorisch-bläuliches Licht begann mehr zu flim-
mern als zu leuchten. Es war kein Zweifel mehr, es strich dort
Jemand, und zwar Anfangs vergeblich, Zündhölzchen. Endlich
ging das bläuliche Phosphorglühen in das grüngelbe Knisterfeuer
des Schwefels und dann in das rothgelbe Flackern des Holzes
über; sein Schein fiel auf den Lichtanzünder, der mit einer Hand
einen Leuchter erfaßt hatte. Auf's Neue drang kalter Schweiß
aus allen meinen Poren, es war — ein Gerippe!
Man hatte mich von meiner frühesten Jugend an gelehrt,
 
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