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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Lunckenbein: Aus den Bergen
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Rosenheyn, Max: Eine Dorfgeschichte aus der Ruhl
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0115

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81

mals in die rechte Richtung, und so, nicht ohne gewaltige An-
strengung , von Sturz zu Sturz immer weiter und weiter. Einer
der Bursche war auf nächstem Wege voraus hinabgerannt, und
schrie mit wehendem Tuche in's Dorf hinein: „Sie kommen!
Die Spitze des Berges kommt mit!" Hinaus nun -Alles, Alt und
Jung, entgegen, um das Wunder zu schauen; Rese voran, und
Philipp's Mutter nachkeuchend.
In lautem Jubel brauste es herunter. Die Bursche schwenkten
die Tücher unter fortwährendem Halloh. Die Oertlichkeit erlaubte
den Gegenstand dieses fröhlichen Tumults bis auf den Dorfplatz
zu wälzen. Der ungewöhnliche Lärm hatte auch Herrn Häfner an's
Fenster gezogen. Mit Staunen hörte und sah er, was es gab. Da
brach die harte Rinde um ein so lange hartes Herz. Des Himmels
Wink fiel als Lichtstrahl in das verdüsterte Gemüth. Der Mann,
der lange nicht mehr unter den Dörflern erschienen, eilte hinaus
mitten unter die Leute, zog die Schwester an's Herz und rief mit
feuchtem Blicke: „Ein Höherer hat gesprochen und das frevle Men-
schenmort zum Guten gewendet, ehe es zu spät. Sei mir wieder
Schwester und Dein Sohn mir Sohn, und zieht ein in mein ver-
waistes Haus, das fortan das Eure ist!" Und als auch der För-
ster herbeigekommen und ihm herzlich die Hand geschüttelt, neben
sich die lieblich erröthende Tochter, da sprach rasch der Hüttenbe-
sitzer: »Herr Förster! machen Sie den Tag des Schreckens zum
ganzen Freudentag! Hier sind zwei, in deren Glück wir unsere
Jugend noch einmal leben wollen. Nicht der arme Philipp, mein
Sohn ist der Werber!" Heute war für alles Liebe ein fruchtbarer
Boden, über den sich wie ein letztes mahnendes und verheißendes
Friedenszeichen ein mächtiger Regenbogen spannte. Zwei junge
Herzen schlugen im gewährten, von freudigen Dankesthränen ge-

weihten Glücke aneinander. Nur abseits hatten zwei Männer auf
einer Bahre von rohen Baumasten Einen stille herbeigetragen und
ebenso stille hingesetzt, den eine höhere Hand entrückt, ehe er gifti-
ges Unkraut unter den jungen Waizen säen konnte.
In diesem Augenblicke theilte ein fürstlicher Lauser die Grup-
pen der Glücklichen. Der Fürst war gegen die anfängliche Bestim-
mung schon an diesem Tage von der Residenz aufgebrochen; das
unerhörte Wetter hatte auch ihn Weg und Ziel ändern lassen.
Das Forsthaus bot genügendes Obdach für die Nacht. Als der
milde und gütige Fürst die Ereignisse des verhängnißvollen Tages
erfuhr, wollte es auch ihm Dünken, daß einfacher Sinn das einzig
rechte Ende zu dem gefunden, was so unheilvoll begonnen; und
freundlich lächelte er seiner verschämten Wirthin zu.
Nach Jahr und Tag brachte ein Bote aus dem nächsten Post-
orte ein gewichtiges Paket mit großen Siegeln in das Forsthaus
zu B. Die fürstliche Brautgabe war es und aus England gekom-
men, wohin der Fürst sich zurückgezogen hatte. Einige gütige
Worte erinnerten daran, daß er seine alten Unterthanen nicht ver-
gessen. Kurz darauf ward eine Hochzeit gefeiert, wie es lange
und weit und breit keine gegeben. Je schlichter die Verhältnisse,
desto uneigennütziger ist die Freude, und nur die geth eilte auch
eine rechte Freude. Mit Philipp und Rese war das Glück in die
alte Glashütte wieder eingezogen, und der reiche Segen dehnte
das Haus aus, das heute noch ihre Kinder und Enkel besitzen.
Auch könnt Ihr, führt Euch einmal der Weg in das betriebsame
Bergdorf, noch heute den Gipfel des Berges an seinem Fuße lie-
gen sehen, als köstlichsten Edelstein, weil er nur Glück-
lich e gemacht hat.

IN'

Eine Dorfgeschichte aus der Ruhl.

Von
Max Nosenheyn.

i.
Pfingsten war vor der Thür, das herrliche Fest, welches die
Blüthen uns wiederbringt, die Blüthen an den Bäumen und
Sträuchern und auch Die frischen Hoffnungsblüthen des Herzens.
Es war am Freitag vor dem Feste, als der Docent des Natur-
rechtes auf der Universität Göttingen seinen Vortrag nach Ablauf
der Stunde mit folgenden Worten schloß: „Meine Herren, wir
haben uns nun schon seit einigen Wochen mit jenen natürlichen
Rechtsgesetzen beschäftigt, die im Verhältniß des Menschen" zum
Menschen giltig sind; lassen Sie uns nun einmal auf acht Tage
Katheder, Compendium und Collegium vergessen und jenen Na-
turgesetzen nachgehen, welche verlangen, daß der Mensch kein
Bücherwurm werde, sondern, wie andere Würmer der Erde, sich
einmal recht von der srischbelebenden Frühlingssonne durchwärmen
lasse." Der Professor lächelte, die Studenten lachten, die Mappen
wurden zugeklappt, und rascher als sonst wohl eilten die Musen-

söhne ihren Wohnungen zu. Das Ranzchen —> damals trugen
die Studenten noch ein solches — war rasch gepackt, übergehängt,
und mit einem „Gottbefohlen auf acht Tage" verließen viele ihre
Hausleute, um dem Versammlungsorte zum Ausmarsch auf die
Ferienreise zuzueilen. Lange dauerte es nicht, bis Alle, die sich
verabredet hatten, hier zusammenkamen, denn es war Freude und
Sehnsucht in Aller Herzen, und die trieb von selbst. Von Göt-
tingen bis Witzenhausen fuhren die sechzehn Studenten, welche
sich zu einer Reise nach dem Thüringer Walve zusammengefunden
hatten, aus Wagen. Von hier aus begann erst die Fußreise.
Das ganze Werrathal, von Witzenhausen bis Kreuzburg, ist
reich an Naturschönheiten verschiedener Art, es wechseln freund-
liche Städtchen mit lieblichen Dörfchen, schattige Wäldchen mit
fruchtbaren Aehrenfeldern, wohlerhaltene Schlösser mit alten
Ruinen. Vorbei geht es am Ludwigstein, Bielstein, Fürstenstein,
dem Normanstein bei Treffurt, immer ganz nahe an den Ufern

III. 6.
 
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