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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Rosenheyn, Max: Eine Dorfgeschichte aus der Ruhl
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0116

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der Werra hin bis Kreuzburg. Von hier aus laßt die Natur nach
in der Entfaltung ihrer Reize, bis der Anblick der Wartburg
wieder einen neuen Haltpunkt gewährt, und hinter den dunkel-
grünen Wäldern, die sich an ihren Fuß schmiegen und weiter
hinansteigen mit den Bergen, noch viel Schönes und Großes
ahnen und erwarten läßt.
Die Göttinger Studenten hatten sich auf dem ganzen Wege
durch das Werrathal wenig aufgehalten, denn sie wußten ja schon,
daß erst mit Eisenach ihr Eldorado beginne, und kamen hier am
Sonnabend Abend an. Schon war reges Leben in der sonst so
stillen Stadt, denn auch von Jena her waren schon viele Musen-
söhne gekommen. Bis tief in die Nacht tönten lustige Studenten-
lieder durch die Straßen. Der folgende Morgen war freundlich
genug, um die jungen Reisenden bald wieder von ihren Ruhe-
stätten zu locken, und wohlig und behäbig fühlten sich Alle, als sie
durch die Fenster den frischen Duft sogen, welchen die Pfingst-
maien, die Birkensträuche an Brunnen und Häusern verbreiteten.
Das ist so des Thüringers ächte Lust, die Jahreszeiten zu feiern
auf sinnige Weise. Bäume uud Sträucher müssen immer dabei
sein, denn den Wald lieben sie Alle, den schönen grünen Wald.
Unter weithin hallendem Glockenläuten bestiegen die Studenten
die Wartburg. Im Burghof lagerten sie. Fast zwanzig Jahre
zuvor hatten hier Feuer gebrannt, denen man damals ein höheres
Gewicht beilegte, als sie später bethätigten. Aber mag es auch
mit der Octoberfeier auf der Wartburg im Jahr 1817 gestanden
haben wie es will, es war doch einmal der Funke einer Begeiste-
rung in den Herzen der Studenten angefacht, die wohler thut als
das altkluge Wesen und Treiben jener Betbrüder, die unter dein
Namen Wingolfiten in den jüngsten Jahren die freie Luft der
Wartburg an den Pfingsttagen beengt haben.
Wenn auch damals die Wege zwischen Eisenach und der Ruhl
noch nicht so gut hergerichtet waren und bequem zu den Natur-
schönheiten der Gegend führten, so fühlten sich doch die Reisenden,
als sie von der Wartburg aus waldwärts wanderten, wohl und
frei in der frischen Bergesluft, auf den waldumwachsenen Höhen.
Mancher Schweißtropfen wurde vergosseu, bevor sie die Berge
alle überklettert hatten, bis zum höchsten vor der Ruhl, von dem
aus sie steil hinabstiegen in den lang zwischen zwei Bergen hin-
gezogenen Flecken. Mit lustigem Liede zogen sie hier ein.
Seit langen Jahren ist die Ruhl das Mekka vieler deutschen
Studenten gewesen und noch bis heute werden Wallfahrten hieher
gehalten, nicht als nach einem Orte des Heiles und heiliger Er-
innerung, nicht nach Reliquien uud Kapellen, sondern um die
frischen Madonnenbilder schlanker Wälderinnen anzubeten und
auf ihre schwellenden Lippen manchen lebensvollen Kuß zu drücken.
Man muß sie nur gesehen haben, diese üppigen Gestalten mit den
frischen Gesichtern in der schönkleidenden Tracht ihrer Heimath,
und man wird begreifen, wie werth sie sind, daß man zu ihnen
wallfahrtet. Selten findet man ein Gesicht, das eines besonderen
Ausdruckes entbehrte. Die scharfgeschnittenen Nasen gehören
unter jene Klasse, von denen Carus in seiner Symbolik der
menschlichen Gestalt sagt, sie deuteten auf vorherrschend geistige
Potenz, auf Anlage und Trieb zur Jutelligenz. Um das Kopf-
haar legen sie in malerischer Form ein rothes Tuch, das ihnen
etwas besonders Piquantes, etwas Morgenläudisches verleiht.
Dazu den Reiz der eigenthümlichen Sprache, das sonderbare

Schnarren bei dem Buchstaben „r", das gesangartige Tönen
längerer Sätze. Kaum der Bewohner der nächsten Städte, viel
weniger ein Nord- oder Süddeutscher ist im Stande, die Ruhler
sogleich zu verstehen.
Das lustige Studentenvolk, zusammengewürfelt aus aller
Herren Länder, von den Alpen bis zum Sund, richtete sich so-
gleich behaglich ein und leistete vor allen Dingen den Forderun-
gen des Körpers Genüge. Dazu bieten die Gasthäuser der Ruhl
auch genug, und es muß ein verwöhnter Magen sein, der mit
dem nicht zufrieden ist, was er hier bekommt, nachdem er sich beim
Berg- und Thalsteigen einen tüchtigen Appetit angelaufen hat,
der durch einfach kräftige Speisen zu tilgen ist, und nicht erst
durch Piquantes erregt werden muß. Bald hatten sie sich wieder
erfrischt und erholt und schlenderten Arm in Arm den Flecken ent-
lang, dessen Häuser wohl eine halbe Stunde lang hüben und
drüben im Thale stehen, fast an den Berg gelehnt. Mitten hin-
durch rauscht ein Flüßchen, das zugleich den Ort in zwei Theile
theilt, von denen der südwestliche zum Großherzogthum Eisenach
und der nordöstliche zum Herzogthum Gotha gehört.
Aus den Fenstern schauten, an den Thüren standen die schönen
Mädchen, theils allein, theils mit Burschen schlickernd und sich
neckend, auch wohl um sich zu besprechen, was zum Nachmittage
und Abende vorzunehmen sei. Es war ja erster Feiertag, und
deßhalb durfte die Lust noch nicht lärmend und ausgelassen sein.
Die Studenten stellten sich wohl hie und da zu den Gruppen
uud begannen ein Gespräch, aber es fiel ihnen schwer, die neckischen
Antworten der Mädchen im Ruhler Dialekte zu verstehen. Doch
wurde ihnen fast überall die Einladung, sie möchten doch ja zum
zweiten Pfingsttage bleiben, an welchem vom Nachmittage bis in
die Nacht hinein tüchtig getanzt würde. Im Arme dieser schlanken
Dirnen im Danze sich zu wiegen, schien Allen genehm, und die
Meisten gingen darauf ein und bestellten sich wohl auch schon im
Voraus einen Tanz, oder (wie man in höhern Cirkeln zu sagen
pflegt) engagirten im Voraus. Alle fühlten sich so heimisch und
traut in dem Orte, und Keiner wußte so eigentlich warum. Es
war eine tiefinnerste Regung, ein Gefühl, das nicht mit kalten
Worten zu erklären war.
Unter den Musensöhnen befand sich auch ein Däne, seinem
Aeußern nach zu urtheilen älter als die übrigen. Auch ihm be-
hagten die hübschen Ruhlerinnen und das lustige Treiben gar
wohl. Nachdem er mit den Andern einmal den Ort hinauf und
hinab, und ail einem Hause nicht weit vom sogenannten „Plane"
besonders langsam gegangen war, blieb er vor demselben stehen
und begann alsbald ein Gespräch mit der Schönen, welche über
einige Blumenstöcke hinweg zum Fenster herausschaute. Sein
ganzes Wesen verrieth den solid en Studenten, weßhalb wohl
auch der Vater des Mädchens dem Gespräch keinen Einhalt that,
nachdem er, die Pfeife mit dem schönen Ruhler Meerlchaumkopfe
im Munde, sich zum andern Fenster herausgebogen hatte. Natür-
lich vergaß der Däne nicht, sich sofort an den Alten zu wenden,
und ihn durch einen humoristischen Einfall, mit welchem er sein
Verweilen motivirte, in's Gespräch zu ziehen.
Der Alte fand bald Gefallen an dem vielgereisten jungen
Manne, und lud ihn, da eben Kaffeezeit sei, ein, in s Haus zu
kommen und den braunen Trank bei einer Pfeife Tabak mit ihm
 
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