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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Niendorf, Emma: Ein Besuch bei George Sand und bei Heine
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Gedichte / Buntes / Literarische Besprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0241

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Papier, jeder Bküthenstrauß in seiner Hüue, in einem umgekehrten
Pavillon. Junge Gesichter unter schneeigen Hauben eifrig nähend
oder Kelche bindend mit einer Grazie, wie es das Blumenmädchen des
Pausanias nicht besser vermocht. In der ruo ll'.^msterclgm Nach-
barin der Straßen Hamburg und Berlin — Nr. 5ü. Gegenüber
zwischen den Häusern ein paar dunkle Tannen — aber der Sänger
gewahrt nicht mehr Fichte noch Tanne. Auf meine Gewohnheitsfrage,
als ich zum ersten Male kam, ob Monsieur Heine in Paris, entgegnete
die Concierge: lllaclams, il kaut bien gu'il soll chi puisgu'il n
sopt ans gu'll ne gnitte plus son lit!" — Die Bonne hatte Thränen
im Auge: Monsieur sei heute so leidend, daß er nicht im Stande,
Jemand zu sehen; doch wolle sie mich melden. Im Borgemache hörte
ich ihn reden. Das Mädchen kam wieder: er hätte arge Schmerzen,
aber ich sollte doch einen Augenblick hinein. Seine Stimme klang
mir entgegen wie die eines Gesunden. Er begrüßte mich rasch und
conventionell wie auf dem Balle oder im Concert, tapfer möchte ich es
heißen. „Ich kann nicht sprechen vor Schmerzen," sagte er, aber im
ruhigsten, gleichgültigsten Tone, wie wenn ein Anderer von ihm redete,
oder vom Wetter. „Ich bin außer Stand, mich zu unterhalten, etwas
zu hören; besuchen sie mich ein andermal."
Da liegt er hinter der spanischen Wand auf seinem Lager, voll
AScese die seinen regelmäßigen Züge. Ein wundersamer Kopf, sehr

ähnlich dem Bilde, daS vor Jahr und Tag in der revue clos lleux
monlles erschien. Weiß, durchsichtig, wie aus Elfenbein geschnitten
Züge und Hände — aber von großem Meister. Im Spiritualismus
an die Märtyrergestalten christlicher Kirche mahnend. Wie ein Held
liegt er da. Welcher Muth, welche Zähigkeit im Tragen! Kein
Seufzen, kein Stöhnen, nichts verräth die Folter. Man erfährt es
nur als Neuigkeit zufällig von ihm selbst, daß er leidet. Wen er-
schütterte da nickt Ehrfurcht und Mitleid für den gekreuzigten Gott
im Menschen? Ich faßte noch einmal seine Hand, die man kaum zu
berühren wagt, diese edle schmale Elfenbeinhand, und eilte leise weg.
Mir war, als hätte ich mit Jemand aus dem Grabe gesprochen. Wie
jene frommen Siedler, die, nachdem sie schon lang gestorben, auf dem
Todtenbette oder im Sarge noch einmal die Augen aufschlagen. Auch
er ein Blutzeuge der Wahrheit, wie Lenau. Auf seinem Golgatha
hat Heine beten gelernt. (?) Der jetzige Heine ist großer als der frühere.
Wie in einer Gruft von Stein liegt er: Nicht Sonne und Grün,
Duft und Vogelton dringt zu dem Dichter, mögen auch Frühlinge
an die Thore der großen Stadt klopfen, außen auf den Fluren, um
die Wipfel noch so süß schmeicheln. ES gehört mit in das Heißblutende
Weh dieser Epoche, jener Herbst- und Scheidetage, den Melodien-
zauberer so zu erblicken — und doch ist es etwas Erhebendes: der
Geistessieg.


Gedichte.

Zwei öäche.
i.
Lang hat er gegraben mit stiller Gewalt,
Um endlich am Licht sich zu dehnen;
Er entrollt dem klaffenden schwarzen Spalt,
Wie dem Auge verhaltene Thränen.
Ha, welch ein Meer von Licht und Luft! —>
Und er sprudelt empor wie trunken;
Fahr wohl, mein Kerker, du finstre Kluft,
Küßt mich, ihr Sonnenfunken! —
Da dunkelt's plötzlich, die Sonne wird blaß,
Wie erlöschende Kerzen im Dome,
Es schüttet und schüttet ohn' Unterlaß,
Und der Waldbach wird zum Strome;
Hin rast er, entfesselt, entsprungen der Hut!
Wie jäh ist der Kamm ihm geschwollen!
Von den Ufern reißt er im Uebermuth
Die Blumen, die thränenvollen.
Und Gras und Strauch und die Rasenwand
Muß mit, und im Ueberschäumen
Hinaus weit über den Uferrand
spritzt Gischt er empor zu den Bäumen.
Und er schüttelt die Mähnen, er dünkt sich ein Held,
Doch Schutt und Schlamm entstellen
Sein Angesicht, durch Park und Feld
Hinwälzt er die trüben Wellen;

Die prunkenden Gärten, der silberne Sand,
Sie vermochten ihn nicht zu erhellen.
Es grüßen ihn Tulpen vom bunten Strand,
Es umgaukeln ihn schlanke Libellen;
Und rechts und links in Busch und Ried
Tirilirt es und pfeift's von den Bäumen,
Er brummt ein melancholisch Lied,
Versunken in trägen Träumen:
„Laß ab mich zu kosen, du Morgenwind,
Laß schäckernde Vögel dich grüßen,
Ich kann nicht scherzen, ich bin kein Kind,
Geh' hin, wie ich, zu zerfließen!
„Ich tobte zu wild, ich jauchzte zu laut,
Jetzt seh ich nur schwarze Särge,
Ich habe zu hoch in den Himmel geschaut
Und zu tief in die Höhlen der Berge;
„Ich reis' und kreise, so alt ich bin,
Durch die Adern der Erd' und die Höhen,
Und kann nur, klagend vor mich hin,
Verschweben und verwehen.
„Der Wandrer flucht mir, dessen Ohr
Die trüben Laute trafen!
Ihm wirft sich über die Augen ein Flor,
Er legt am Ufer sich schlafen!
«Er schläft und schläft sich müder nur,
Und Träume quälen ihn, düstre,
 
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